Sommernachts-Grauen
vor allem neues Stück.
„Prost“, sagte Ella und stieß mit ihrer Flasche an Susis. Ein Klingen erfüllte den Innenhof und augenblicklich ließ sich der Nachbar am offenen Fenster zum Balkon blicken.
„‘n Abend“, rief Susi so laut, dass es unmöglich schien, dass er es überhört haben könnte und hielt dabei die Flasche in die Höhe. „Sag mal, dein Nachbar, weißt du was von dem? Der sieht doch ganz gut aus. Haste mit dem schon mal gesprochen?“
„Nein, ich sagte dir doch schon mehrmals, dass ich keinen Wert auf Kontakt zu dem lege.“
„Ach, echt? Verstehe ich nicht. Du bist doch sonst nicht abgeneigt, neue Bekanntschaften zu machen. Und wenn ich ehrlich bin, mir gefällt er.“
Wie aufs Stichwort betrat der Nachbar den Balkon, ebenfalls mit einem Bier in der Hand. Als er die Hand hob und ihnen zuzuprosten schien, wurde es Ella unheimlich, während Susi sich freute.
„Ehrlich, den müssen wir mal herüber bitten. Der sieht so aus, als könnte er mir gefallen.“
Ella wusste, dass ihr Nachbar genau der Typ Mann war, dem Susi augenblicklich verfallen wäre. Ansatzweise gut gebaut, aber vor allem mit blonden Haaren, die einen leichten Stich ins Rote hatten. Eine dunkle Brille verbarg seinen Blick, den man im Grunde dadurch nicht deuten konnte, was Ella noch mehr gruselte.
„Der scheint mir jedenfalls netter zu sein als Reiner.“
„Jetzt lass doch mal den Reiner und vor allem den Nachbarn in Ruhe. Sag mir lieber, was ich hätte in der Zeitung lesen sollen.“
„Stimmt, das hätte ich ja beinah vergessen.“ Susi kramte aus einer der Gesäßtaschen einen zusammengefalteten Zeitungsartikel hervor, der so zerknittert war, dass sich bereits die Druckerschwärze löste. „Schau mal, hab ihn dir mitgebracht, falls du ihn nicht kennst.“
„Was kann denn so wichtig sein?“
„Schau mal auf das Foto.“
Ella nahm den Fetzen entgegen und versuchte, auf dem gerasterten Bild etwas zu erkennen. Eindeutig handelte es sich um einen Tatort, was auch die Schlagzeile vermuten ließ: „Weiterer Mord in Eimsbüttel. Killer macht Hamburg unsicher!“ Sie sah in einem Torweg mehrere Mülltonnen stehen, davor war Flatterband der Polizei gespannt worden.
„Na und? Schon wieder so ein grauenvoller Mord. Der wievielte war das jetzt eigentlich?“
„Keine Ahnung. Der dritte oder schon vierte? Das ist doch jetzt egal, siehst du denn nichts auf dem Bild?“
„Was soll da schon zu sehen sein?“
Ella sah noch einmal genauer hin. Jetzt erkannte sie zwischen den Tonnen einen Fuß. Entsetzt hielt sie den Artikel von sich, als ob er angefangen hatte zu stinken.
„Meinst du die Leiche?“
„Nein, den Schuh.“
„Was für einen Schuh?“
„Mann, schau doch genau hin.“ Susi zeigte mit dem Finger auf einen Pump, der beinah unscheinbar vor der Absperrung lag.
„Na und? Den wird das Opfer wohl verloren haben. Weiß man diesmal, wer sie war?“
„Nein noch nicht. Fällt dir denn nichts auf?“
„Nö, in Eimsbüttel kenn ich mich aber auch nicht so aus.“
„Mensch, ich meine doch den Schuh.“
„Was soll damit sein?“
„Das ist haargenau der, den du dir neulich gekauft hast.“
„Du meinst die pinken? Das kann man doch auf einem Schwarz-Weiß-Bild nicht erkennen.“
„Nee, das nicht, aber es steht im Artikel. Die wissen nicht, wer die Frau ist und fragen, ob der pinkfarbene Schuh ein Hinweis zur Klärung der Identität sein könnte.“
„Aber was soll das mit mir zu tun haben? Das ist reiner Zufall.“
„Sag was du willst, ich finde das schon komisch.“
Schlagartig fiel Ella der Zettel ein, den sie vor einer Woche in ihrer Jackentasche gefunden und dem sie keinerlei Bedeutung beigemessen hatte. Als sie ihre Hand in die Tasche gesteckt hatte, fühlte sie ihn, konnte sich jedoch nicht erinnern, wie er zu ihr gekommen war und wer ihn ihr gegeben haben könnte.
Gedankenverloren hatte sie ihn wieder in der Tasche verstaut und vergessen, nachdem sie ihn gelesen und nicht verstanden hatte, was das für eine eigenartige Mitteilung sein sollte. In akkuraten Blockbuchstaben war mit schwarzem Filzstift geschrieben worden:
‚Ich habe dich unter Beobachtung!‘
Ellas Gedanken wurden durch das Klingeln an der Tür unterbrochen. Beide Frauen sahen sich an und sprachen zeitgleich einen Namen aus: „Reiner!“
Kapitel 5: Reiner
Schon immer gruselte ich mich vor dem dunklen S-Bahnhof Stadthausbrücke . Nur wenige Menschen verließen mit mir die Bahn, aber trotzdem kam mir
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