Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
jedenfalls waren die Geschichten durcheinandergeraten, sodass es mir schwerfiel, die Geschehnisse und ihre Reihenfolge auseinanderzuhalten. Eine der Aufgaben des alten Mannes muss es gewesen sein, dafür zu sorgen, dass ich bei meinen Geschichten blieb. Ich hatte Mühe, mich zu erinnern, was vor und nach meinem Sturz geschehen war. Die Furcht vor einer Amnesie schwebte über mir und warf einen schrecklichen Schatten.
»Du bist bei den Mädchen in den Wildwest-Kleidern stehen geblieben, Kleiner, die dich gerade aus fleischlicher Begierde verschlingen wollten.« Er grinste anzüglich und wackelte lasziv mit den Augenbrauen wie Groucho Marx; fast erwartete ich, er würde sich eine Zigarre in den Mund unter dem aufgemalten Schnurrbart stecken.
»Versteh mich nicht falsch. Dass sie zu mir liefen, um mich zu begrüßen, war eher Ausdruck dafür, wie glücklich sie waren, mich zu sehen, und nach den ersten Küssen, als mein Gesicht mit Lippenstift verschmiert war, befand ich mich in einem Zustand von Euphorie. Während Sternchen, Monde und flatternde Bluebirds um meinen Kopf schwirrten, traten die Frauen geschlossen vom Klavierzimmer in den Flur. Ich hatte keine Ahnung, wie ich mich überhaupt fortbewegte, unterdessen schwatzten die Frauen miteinander, spazierten hin und her, beachteten mich kaum, bis wir eine Art Kreuzung erreichten. Zur Linken war mein Schlafzimmer. Scharf nach rechts ging es zur Treppe, und weiter geradeaus lag das Badezimmer. An diesem Punkt kämpften in mir zwei unterschiedliche, miteinander konkurrierende Bedürfnisse. Sollte ich es wagen, das Schlafzimmer vorzuschlagen, oder sollte ich Gentleman bleiben und der Meute erlauben, die Regeln zu diktieren?«
»Für sieben Frauen braucht man doch eine ganze Woche.«
»Offensichtlich lag die Entscheidung nicht bei mir. Sie liefen im Gänsemarsch in das Badezimmer, manche blickten zurück, eine oder zwei winkten dezent, und die Letzte, Jane hier, sagte mir, sie brauchen einen Augenblick, um sich frisch zu machen.«
»Eine kluge Entscheidung, denke ich«, sagte der alte Mann. »Ich selbst habe auch ein bisschen – sagen wir mal – muffig gerochen. Nur eine kurze Wäsche, Zähneputzen und ein bisschen Talkum, und man ist so gut wie neu. Sauberkeit wird als Tugend unterschätzt, und viele Menschen vergessen heutzutage, sich hinter den Ohren zu waschen.«
Wir prüften reflexartig nach, ob wir hinter den Ohren sauber waren, und jeder von uns seufzte erleichtert, als die Fingerspitze über glatte Haut strich. Niemand machte sich natürlich die Mühe, das Baby zu untersuchen, denn es ist eine bekannte Tatsache, dass kleine Kinder fast immer dreckig sind, dass ihre Hautfalten und -ritzen ein Hort für Schmutz sind und dass sie im Sommer gewöhnlich eine klammklebrige Substanz absondern, die ihren ganzen Körper überzieht. Wer bei einem Picknick im Juli oder August ein Baby von Bekannten hochhebt, wird schockiert sein. Es kann so schleimig sein wie eine drei Tage alte Makrele, und oft riecht es auch nicht besser. Darüber hinaus strotzen Babys vor Bazillen und gefährlichen Bakterien und beherbergen unzählige Krankheitserreger. Eine der Frauen in meinem Büro ist Mutter von Zwillingen und immer niest und schnieft sie oder beklagt sich über Ohreninfektionen oder irgendein Virus, das im Kindergarten umgeht, und so nimmt die Ansteckung, ausgehend von Kind Nummer eins, kontinuierlich ihren Lauf, bis alle erkältet sind oder die Grippe haben.
»Nun, ich habe gewartet«, sagte ich. »Erst bin ich in dem Flur auf und ab gegangen, und schließlich habe ich mich auf die oberste Stufe gesetzt. Es hat ewig gedauert.«
Der alte Mann lachte. »Was ist das nur mit den Frauen und den Badezimmern?«
Sofort wurde er mit fliegenden Objekten traktiert – mit zusammengeknülltem Klopapier, einem Stück Seife, einer Lawine von Wattebäuschen, dem Deckel einer Dose Rasierschaum, meiner Zahnbürste! Selbst das Baby warf einige Kringel nach ihm, weil es den Protest für ein neues Spiel hielt. Beckett verbarg den Kopf unter den Händen und entschuldigte sich mit sonorer Stimme. »Désolé.«
»Sie waren schließlich zu siebt«, sagte ich. »Aber ich war neugierig und wollte wissen, was dort vor sich ging. Das Wasser der Dusche war lange Zeit gelaufen, und als es endlich aufhörte, begann das Singen …«
»Aha, dieselbe Sängerin wie jene, als du meintest, die Fenster würden singen?«
»Nein, dieses Mal war es anders. Sieben Stimmen in einer Art Reigen, wobei die Frauen
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