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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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Geist gebiert?«
    »Neun Stunden, hah!«, höhnte Dolly. »Ich habe einmal neun Jahre in einer Höhle auf einen Geist gewartet, von dem ich wusste, dass er nie zurückkehren würde. Stell dir mal vor, welche Dämonen mich da heimgesucht haben?«
    Marie schüttelte ihre Dreadlocks. »Oder versuch, dein ganzes Leben darauf zu warten, dass du Freiheit zugestanden bekommst, dann wirst du erleben, was die Fantasie alles heraufbeschwört. Das ist das Geheimnis des Voodoo.«
    »Und der Fluch der menschlichen Rasse«, sagte der alte Mann. »Fantasie ist der Brennstoff der Hoffnung. Ihr solltet solche Feuer besser meiden und schauen, was wirklich vor euch liegt.«
    Alice, deren rotes Haar ihr ins Gesicht fiel, stand mit ihrem Kind an der Hüfte auf. »Wage es nicht, so furchtbare Dinge vor meinem Sohn zu sagen. Ich habe ihn neun Monate getragen, neun Monate des Hoffens für ihn bei jedem Atemzug und der Vorstellung, wie er sein würde, und heute mit der Vorstellung, was aus ihm werden wird. Fantasie ist kein Fluch, Mister, sondern das, was uns vom Affen unterscheidet, und Hoffnung kann eiserne Gitterstäbe biegen, als wären sie Grashalme. Unterschätze nie den menschlichen Geist.«
    Beckett verneigte sich bedächtig und legte die Hand auf die Stelle, wo sein Herz war. »Ich nehme alles zurück. Vergebt mir. Vor allem der junge Herr.« Das Baby gurgelte nur.
    Schnell wie ein Terrier schoss Flo durch den Raum, spuckte in die Handfläche und streckte dem alten Mann die Hand entgegen. »Entschuldigung akzeptiert«, sagte sie in blechernem Tonfall.
    Ein lauter Schlag gegen die Tür verhinderte, dass es zum Händeschütteln kam. Jemand hatte etwas so kräftig dagegengeworfen, dass sich das Holz nach innen wölbte. Das Geschoss war laut wie ein Stein. In meiner Vorstellung sah ich David Steine auf Goliath schleudern. Der nächste Wurf war noch kräftiger, der Aufprall glich einem Donnerschlag, Splitter flogen durch den Raum.
    »Das war schon ziemlich gut«, rief der alte Mann. »Etwas höher beim nächsten Mal.«
    Der dritte Wurf schlug da ein, wo mein Kopf gewesen wäre, wäre die Tür nicht geschlossen gewesen. Das Holz fing einen Großteil der Wucht ab, dennoch hinterließ der Gegenstand eine faustgroße Einschlagstelle.
    »Dritter Wurf!«, rief der alte Mann. Er zog ein Schneidermaßband aus seiner Tasche und hielt es über die Breite der Tür. Sechzig Zentimeter, aber das hätte ich ihm, hätte er mich gefragt, auch sagen können. Ein Teil der Berufsbildung eines Architekten besteht darin, dass er Maße im Raum mit großer Genauigkeit schätzen lernt. Der alte Mann rollte das Maßband auf, steckte es zurück in die Tasche, legte mir die Hände auf die Schultern und belehrte mich auf eine direkte, nüchterne Art. »Kannst du tapfer sein? Kannst du dem Feind ins Auge blicken, ohne – den Instinkten zum Trotz – zurückzuweichen? Du weißt, dass ich auf deiner Seite bin. Und ich habe sorgfältig überlegt und die nötige geometrische Vermessung der Winkel vorgenommen, also bitte ich dich nur um dein unerschütterliches Vertrauen.«
    Ich nickte zu seinem mir unbekannten Plan, und er stellte mich genau vor die Tür. »Stell dich hierher und bewege keinen Muskel, ganz gleich, was geschieht, wenn ich diese Tür geöffnet habe. Glaubst du, du kannst das? Guter Junge.«
    Ehe ich noch einen Gedanken fassen konnte, riss er die Tür auf. Auf der Schwelle wartete eine junge Frau in einem grünen Kleid mit einem Baseballschläger über der Schulter. Ihre Augen wurden ganz groß, als sie mich da stehen sah, und als erwartete sie einen Wurf genau in die Mitte des Schlagmals, holte sie aus und schwang den Louisville-Slugger genau in Richtung meines Kopfs. Das dicke Ende des Schlägers traf den Türrahmen, was den Schläger bis zu ihrer Hand hinunter in heftige Vibration versetzte. Mit einem kleinen Schmerzensschrei warf sie den Baseballschläger zu Boden, auf dessen Griff sogleich der alte Mann mit seinem nackten Fuß trat. Sein Daumen fuhr in die Höhe: »Du bist out .«

Kapitel zwölf Die Frau, die den Wimpel verlor
    D er alte Mann untersuchte den Baseballschläger, und zu meinem Erstaunen umfasste er den Griff wie ein erfahrener Hitter, vollführte einen halbherzigen Schwung und warf ihn dann in die Ecke zu der Kriegskeule, dem Pickel und den anderen mir zugedachten Vernichtungswaffen. Die Frau an der Tür tickte wie ein Hochofen, während ihr Zorn abflaute. Wie die anderen war sie schön – strohblond mit grünen Augen und blasser,

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