Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
beinahe durchsichtiger Haut, die sich deutlich von ihrem grünen Kleid absetzte. Eine Ader schlängelte sich über ihre linke Schläfe, ihre vollen Lippen strahlten rosige Gesundheit aus, während ihr Teint wie Porzellan wirkte. Ihre Erscheinung ließ auf Vorfahren aus einer skandinavischen Stadt schließen. Sie hatte eine nördliche Gelassenheit, eine Eisschicht rund ums Herz.
»Dein Swing lässt noch einiges zu wünschen übrig«, sagte der alte Mann. »Aber du hast einen höllischen Fastball.«
Die Außenseite der Tür wies nun für alle sichtbar zwei tiefe Dellen auf, und der dritte Baseball, jener, der meinem Kopf gegolten hatte, steckte fest im Holz, seine roten Nähte leuchteten wie Narben.
Sie lachte in einer viertönigen Kadenz. »Die beiden ersten waren nur zum Aufwärmen. Erst in den letzten habe ich alle Kraft hineingelegt.«
Der alte Mann fragte: »Wo hast du gelernt, so zu werfen?«
»Durch Zuschauen. Von einem Verehrer …«
»Ist das nicht immer ein Schlag ins Gesicht?«, warf Flo ein.
Die anderen Frauen murmelten zustimmend, und eine Welle der Solidarität lief von Frau zu Frau und verpuffte, als sie mich erreichte. Der Groll richtete sich nicht gegen den alten Mann, nur gegen mich. Tatsächlich schien er mit ihnen unter einer Decke zu stecken, darum sah ich auf der Suche nach moralischer Unterstützung zu dem Kind. Es versuchte gerade, seine Faust zu essen.
»Sie ist die Sängerin«, sagte ich, da ich mich plötzlich an ihr Gesicht erinnerte. »Die von der Aufführung, die Opernsängerin.«
»Bist du sicher?«, fragte der alte Mann. »Eine Sängerin ist normalerweise molliger, und Miss …«
»Adele«, sagte sie.
»Miss Adele ist von schlanker Statur, nicht wahr? Vermutlich vom vielen Baseball.«
Da ich mir jetzt sicher war, insistierte ich. »Florence saß am Klavier, und Adele balzte die ›Lacharie‹, glaube ich, und später, als die Meerjungfrauen sangen, war ihre Stimme wahrhaftiger, klarer und gefälliger als die der anderen. Dieser Vogel kann singen.«
»Stimmt das, Adele? Du kannst singen und auch den guten alten Baseball werfen?«
Sie errötete von der Brust aufwärts bis über den Hals und sagte zögerlich. »Man kann beides lieben.«
»Lieben?« Der alte Mann schaute, als würde er gleich seine Zähne ausspucken. »Man kann sehr viele Dinge gleichzeitig lieben. Ich liebe einen guten Buster-Keaton-Film, Crêpes Suzette und Drachen, die im Märzwind fliegen. Aber wenn das, was der Kleine über dich sagt, stimmt, dann ist es mehr als Liebe. Du hast Leidenschaft, du hast die Gabe. Und ich habe dich werfen sehen. Schwester, das ist keine Liebe. Das ist Talent.«
Wieder stieg ihr das Blut ins Gesicht, und sie hatte keine Antwort darauf. Als ihre anfängliche Scheu nachließ, blieben noch zwei Rosetten auf ihren Wangen zurück. Der alte Mann führte sie am Ellbogen in die Mitte des Raums. Aus seiner unergründlichen Tasche zog er eine cremefarbene Baseballkappe mit kurzem blauem Schild und einem altmodischen blauen P obendrauf. Er setzte sich die Kappe auf das silber melierte Haar, griff dann noch tiefer in die Tasche und holte einen altertümlichen ledernen Baseballhandschuh hervor, der kaum größer war als seine linke Hand. Er streifte ihn über und schlug mit der rechten Faust hinein. »Ich bin jetzt bereit«, sagte er zu ihr. »Gib uns dein Bestes. Ziel genau hierher, Baby.«
Hinter ihr erschien auf den Kacheln der Dusche eine große Fotografie in Sepiatönen, die langsam scharf wurde. Zwei junge Männer mit hohen Kragen und Strohhüten standen an einem Sommertag auf den Stufen eines Stadthauses. Sie sahen wie Brüder aus, und der ältere hatte etwas in die Luft geworfen, das die Blende der Kamera jedoch in einen weißen, verschwommenen Fleck verwandelte. Nur nach eingehender Betrachtung hätte man erraten können, dass dieses verschwommene Objekt ein Baseball war. Adele begann mit ihrer Geschichte.
Schon ehe sie ihn kennenlernte, wusste sie, dass er ein leidenschaftlicher Fan war. Er und sein Bruder Christy waren einfach verrückt nach Baseball. Die Jungen besuchten jedes Spiel, zu dem sie gehen konnten, drüben im Exposition Park auf der anderen Seite des Flusses. Und genau dort hielt Pat um ihre Hand an, einer von vielen tausend Fans und Anhängern, die alle gekommen waren, um ihrer Mannschaft zuzujubeln.
Die Fotografie an der Wand geriet in Bewegung, und der Ball, den der junge Mann geworfen hatte, fiel in seine Hand zurück. Wie ein alter Stummfilm ruckelte der Film
Weitere Kostenlose Bücher