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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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japanisch-italienisch-südwestlichem Zen-Ethos, wobei moderne Schlichtheit vorherrschte. Alles sah aus wie die fehlgeleitete Zukunftsvision eines Innenarchitekten. Statt des alten Fernsehers stand da eine Scheibe, dünn wie Glas, die aber bei Berührung nachgab. Das Schlimmste war, dass alle meine Bücher fehlten. Kein einziges war zu sehen, nicht einmal Die Poesie des Raumes . Es sah aus wie Ödland.
    Das Esszimmer, nun formeller und nüchterner als zuvor, ließ nur noch geringste Spuren meiner ursprünglichen Einrichtung erkennen, und die Küche schien direkt aus dem Raumschiff einer krankhaft ordnungsliebenden Spezies von Aliens gefallen zu sein. Die rustikalen Schränke waren verschwunden, ebenso das Brot auf der Anrichte, die verstaubten Alkoholika und die Keksdose in Form einer Meerjungfrau, die mein Bruder während irgendeines Karibikurlaubs erstanden hatte. Edle Stahlschränke und matt glänzende Geräte gaben dem Raum eine Aura von Sauberkeit und Ordnung, doch dieser unmittelbare Eindruck wurde durch das Gefühl gedämpft, man hätte sich in eine Leichenhalle verirrt. Was lauerte hinter diesen geschlossenen Metallschubläden? Alles wirkte steril und bedrohlich. Ich öffnete den Schrank, in dem früher die Cornflakes standen, doch der Freak von einem Designer, der das Äußere des Raums verändert hatte, hatte die Lebensmittel, sorgfältig katalogisiert und mit Aufschriften versehen, in durchsichtige Plastikbehälter verstaut. Die Cracker waren unter dem Chutney und über den Crunchies abgelegt. Nach dem Alphabet! Als könnte man sein Leben ordnen wie Teelöffel (zwischen Tagliatelle und Tunfisch). Da ich mir vorstellte, das Kind könnte nach dem Snack vielleicht durstig sein, suchte ich in dem Riesenkühlschrank umher und füllte dann ein Glas halb voll mit entrahmter Milch. Mir fiel auch ein, dass der Kater irgendwo im Haus war, und ich stellte eine Untertasse mit Wasser auf den Boden. Da ich niemanden wecken wollte, rief ich leise nach Harpo, miez, miez, miez, doch es kam kein Maunzer zurück. Katzen sind bekanntermaßen unabhängig und lassen sich nicht immer wie Hunde mit Futter bestechen. Ich machte das Licht aus und begab mich durch die fremden Räume bis zum oberen Treppenabsatz.
    Da mein Bedürfnis, einen verstohlenen Blick auf sie zu werfen, übermäßig war, öffnete ich mit dem Ellbogen sachte die Tür zu meinem Schlafzimmer, nur einen Spalt, aber genug, um die drei im Bett verbliebenen Leiber zu sehen. Zwei Frauen seufzten wegen der Störung leise auf und verschlangen sich zu einem Knoten, die dritte hatte sich während der ganzen Nacht nicht bewegt – wenn man von dieser Nacht überhaupt sagen konnte, dass sie verging –, sie blieb reglos, mit dem Gesicht zur Wand, eine Hand auf ihrer geschwungenen Hüfte. Einen Augenblick lang beobachtete ich, wie sich ihre Brust beim Atmen hob und senkte, und da ich ihren Schlaf nicht stören wollte, zog ich mich so still zurück, wie ich gekommen war. Die Dielen knarzten unter meinen Schritten, die Tür des Badezimmers flog plötzlich auf, und Licht durchflutete den Flur.
    »Da bist du ja«, sagte der alte Mann und zog mich am Handgelenk in den beengten Raum. »Wo warst du denn so lange? Wir warten schon eine Ewigkeit.«
    In meiner Abwesenheit hatten sie ihre üblichen Faxen gemacht. Sie hatten Lippenstift und Rouge gefunden und sich die Gesichter angemalt. Und alle Frauen hatten eine neue Frisur: Marie ein Medusenhaupt mit Dreadlocks, Alice eine Veronica-Lake-Welle, die ein Auge verdeckte, Dolly zwei geflochtene Zöpfe von erstaunlicher Länge, und Jane und Flo, Groß und Klein, hatten den gleichen Pagenschnitt. Ihre Haut war mit Puder zugekleistert, und sie sahen ausgesprochen künstlich aus. Becketts Augen waren mit Kajal schattiert, wodurch sein Blick noch durchdringender wirkte, und selbst das Kind hatte rosige Wangen. Vielleicht roch oder sah der Kleine die Cornflakes durch das Plastik oder er hörte das typische Rascheln, denn er ballte und öffnete flehend seine kleine Hand, damit ich ihm die Beute übergäbe.
    Ich nahm den Deckel ab und hielt ihm den Behälter hin, in den er sogleich sein Händchen tief hineinsteckte und es voll kleiner Kringel herauszog, von denen manche an seiner Haut klebten und ihm aus der Faust fielen. Der Knirps war mehr mit dem beschäftigt, was er verloren hatte, als mit dem, was noch in seiner Hand verblieb; er erschien mir in diesem Augenblick als ein Sinnbild für das Menschsein, ohne nun in elementare Gier und Bedauern

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