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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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stellte ihm den Teller hin. »Ich bitte diesen Woody, dir zu helfen.«
    Phil begann, sich das Essen in den Mund zu schaufeln, und fragte sich derweil, wie gut sie Woody Pfahl kannte.
    Bis diese Frage angemessen beantwortet werden konnte, war Phil schon völlig erschöpft. Die Truhe nach oben zu schleppen, die Leiche mit einigen persönlichen Dingen darin zu verstauen, sich den Nash-Kombi des Schwagers zu leihen, als Jerry verkleidet einen gefälschten Scheck bei einer Zweigstelle in der City einzulösen und zurück zu Bunny zu hetzen, hatte den ganzen Tag in Anspruch genommen, und es war kurz vor fünf an diesem Nachmittag, als sie an die Tür des Apartments 2A klopften. Sofort setzte schrilles Gekläff ein, und dann die Stimme einer Frau, die den Hund ermahnte, sei doch still. Eine junge Blondine in einem schwarzen Trikot und einem Tanzröckchen öffnete mit einem winzigen, zitternden Hund auf dem Arm die Tür.
    »Hallo«, sagte Bunny. »Wir sind die Nachbarn von oben und brauchen Hilfe. Ich dachte, Woody sei vielleicht zu Hause. Wir brauchen einen zweiten Mann.«
    »Aber klar doch. Kommen Sie herein. Woody sollte jetzt sowieso aufstehen.«
    »Was ist das für ein Hund?« fragte Phil.
    Der Hund kläffte erbittert, als Bunny die Wohnung betrat, doch als die Blondine sich umdrehte, begrüßte er Phil mit wedelndem Schwanz und stellte die spitzen Ohren auf.
    »Pepito? Ein mexikanischer Chihuahua. Mit Fremden ist er immer nervös. Aber Sie mag er.« Der Hund reckte den Hals, um an Phil zu schnüffeln. »Haben Sie Fleisch dabei?«
    Phil streckte die Finger, und der Hund leckte sie genüsslich ab.
    Die Blondine schrie über den Flur: »Woody, aufstehen. Besuch!«
    Zwei Minuten später tauchte Woody aus dem Schlafzimmer auf, angeschlagen, zerzaust und im Bademantel, dessen Gürtel hinter ihm hertrudelte wie ein Schwanz. Der offene Bademantel gab den Blick frei auf sein T-Shirt und seine Boxershorts. Das Hündchen wedelte wild mit dem Schwanz und sprang aus dem Arm der Blondine, um sein Herrchen zu begrüßen.
    »Sherry-Baby, was ist los?« Und als er fragte, sah er Phil neben der Tür stehen. »Hey, Mann, Sie sind’s. Der von der Straße.«
    Phil winkte ihm halbherzig zu. Hinter ihm sprang Bunny hervor, ihre Begrüßung war weit überschwänglicher, sie setzte ein breites Lächeln auf und warf ihm einen schmachtenden Blick zu. Woody nahm Haltung an in seinem Bademantel.
    »Würdest du so lieb sein und uns einen Gefallen tun?«, fragte sie. »Könntest du uns dabei helfen, eine Truhe nach unten zu tragen? Mein Mann will sie verschicken, aber, das musste ja so kommen, er steckt noch im Büro fest und kann nicht mit anpacken.«
    »Aber sicher, Mrs. G. Das mache ich gern. Lassen Sie mich nur schnell eine Hose anziehen.«
    Kurz darauf hievten sie auf dem Treppenabsatz des sechsten Stocks die Kiste in die Höhe. Phil brauchte eine Verschnaufpause nach der ersten Treppe, und im vierten Stock blieb Woody stehen und setzte die Last ab. »Was ist da drin? Eine Leiche?« Sie schafften es in zwanzig Minuten bis zum Wagen. Phil hatte den Rücksitz umgeklappt, sodass die Truhe ganz hineinpasste. Der Schweiß tropfte ihnen von der Nasenspitze. Sie setzten sich auf die Eingangsstufen vor dem Haus, trockneten sich ab und rauchten. Die New Yorker zeigten kein Interesse für ihre Anstrengungen, sondern hasteten vorbei, um der Hitze zu entkommen. Phil reichte ihm einen Fünf-Dollar-Schein für seine Hilfe, doch Woody lehnte jede Bezahlung ab. »Kein Problem. Für Bunny tue ich alles auf der Welt.« Er verbesserte sich: »Für Mrs. G.«
    Während der ganzen Fahrt nach Canarsie fragte sich Phil, wie gut Woody sie kannte und wie und was mit der Blondine mit dem Chihuahua war. Er fuhr den Nash zu den Piers, und für ein kleines Schmiergeld half ihm ein Schwarzer, der auf den Docks saß, die Truhe im tiefen, stillen Wasser zu versenken. Als er die Leiche über die Kante gleiten ließ, wäre er beinahe selbst hineingefallen; später dachte er an diesen Augenblick als die letzte Chance, die sich ihm geboten hatte, sich vor allem Elend zu retten. Gegen elf war er endlich zu Hause und schlief bis zum nächsten Mittag. Den Rest des Tages verbrachte er damit, den Horror des Mordes an Jerry und den Irrsinn, die Leiche loszuwerden, wieder und wieder zu durchleben. Selbst Claire, die normalerweise nicht auf sein Kommen und Gehen achtete, bemerkte beim Abendessen, wie blass Phil sei und wie müde er aussehe, als lastete ihm etwas schwer auf der Seele.

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