Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
sehr heiß im alten Mutterland –, dann schnappte es sie, wumm, mit seinem riesigen Maul und fraß sie – schmatz, schmatz – zum Abendbrot. Erst das Zebra, aber Streifen schmeckten dem Krokodil nicht. Dann die Giraffe, aber auch die Flecken mochte es nicht. Es versuchte sogar den Poppo …«
»Hippopotamus«, sagte die nackte Frau.
»Ah ja, stimmt. Aber der Poppo war zu fett, und das Maul des Krokodils war nach all dem Kauen zu müde. Es hätte gerne den Elefanten probiert, aber in dieses Gebiet des Mutterlandes kam nie ein Elefant.
Bald fürchteten alle Tiere das Krokodil mit dem enormen Appetit, und sie zögerten, an den Fluss zu gehen, auch wenn die Sonne am Sommerhimmel strahlte und kein Regen fiel. Ein großer Durst kam über sie. Wir werden erst frei sein, sagten die Tiere, wenn der Tyrann bezwungen ist. In ihrer Verzweiflung wandten sie sich an den König des Dschungels, den Löwen, der aber keine Lust hatte, den Schatten zu verlassen oder sein Nickerchen zu unterbrechen. Nur zwei Löwinnen, die aus der Nähe zugehört hatten, empfanden Mitleid und versprachen zu überlegen, was man gegen das schreckliche Krokodil unternehmen könnte.
Die zwei schönen Löwinnen, die zufällig Mutter und Tochter waren, gingen hinunter zum Fluss, um das Monster auszuspähen, das dort im Schlamm vor sich hin döste. Hundert Dolche steckten in seinem gezackten Maul, und schuppige Borke, die dicker war als die des Affenbrotbaums, umhüllte es wie eine Rüstung. Sollte diese Abwehr nicht gefährlich genug sein, so hatte es zudem noch einen furchterregenden Schwanz, mit dem es ein Gnu niederschmettern konnte. Die Tochter bekam eine trockene Kehle und wagte es, am Wasser zu nippen. Sofort schreckte das Krokodil aus seinem Schlummer auf und war wie der Blitz vor ihrer Nase, während das Wasser von seinem Zorn aufgewühlt weiß schäumte. Die junge Löwin sprang vor Überraschung brüllend gerade noch rechtzeitig weg. Sie kehrten in den Busch zurück, um ihre Strategie zu besprechen. Es ist zu schnell, sagte die Mama. Und zu hungrig, sagte das Löwenkind. Und dann sagte die Mama, wir werden es mästen, bis es faul und langsam wird.
Also brachten sie nun einen Teil von allem, was sie erjagten, hinunter zum Fluss. Wildschweine und Antilopen, sodass es noch dicker wurde. Dann ließen sie die Affen Zuckermelonen und Yams in großen Mengen sammeln und kochten sie mit Gewürzen. Das Krokodil liebte ihre Speisen und fraß und fraß. Aufgebläht wie eine Gewitterwolke, schlief es nun den ganzen Tag bis auf eine Stunde und erwachte nur, um noch mehr zu fressen. Es wurde so dick, dass sein Bauch über den Grund des Flusses schleifte und seine kurzen Beine und Füße den Boden nicht mehr berührten. Und die Löwinnen fütterten es weiter und weiter, bis es schließlich wie ein dicker, fetter Baumstamm träge auf dem Wasser trieb. Es war nicht mehr behände genug, auch nur eine Schildkröte zu fangen, und damit hatten sie es. Die Mama sprang auf seinen Rücken, und es konnte nicht einmal den Kopf wenden, so fett war es, und sie biss ihm in die Schnauze und verschloss sein großes Maul. Und die Tochter packte den furchterregenden Schwanz, den es nur noch matt hin und her schwenken konnte, so faul war es geworden, und hielt ihn mit ihren großen Pranken fest. Das alte Krokodil hatte vielleicht noch furchtlose Gedanken, aber es war kein Gegner mehr, und das war dann – pffttt! – sein Ende. Die Tiere tanzten vor Freude, als sie diese Nachricht hörten, denn nun konnten sie wieder zum Fluss gehen, wann immer es ihnen gefiel.«
Die Geschichte, die ihr auf das Gesicht geschrieben war, verschwand in ihrem Haaransatz, und der alte Mann musste einen Augenblick suchen, um die Lektüre an der richtigen Stelle wiederaufzunehmen, wobei er die Frau drehte, weil sich die Worte nun um ihren Hals wanden.
»Dies ist die erste Geschichte, an die ich mich erinnern kann. Mir erscheint das Gesicht meiner Mutter, wenn ich sie erzähle, denn zum ersten Mal habe ich sie auf ihrem Schoß vernommen. Meine Mutter hatte die Geschichte als kleines Mädchen in Afrika gehört, ehe sie geraubt, in den Senegal gebracht, als Sklavin verkauft und in die Neue Welt verschifft wurde. Sie war selbst noch ein Kind, an Bord eines Schiffes mit hundertfünfzig Afrikanern, das zuerst in Habana anlegte, um dort die Hälfte abzuladen, und danach in Saint-Domingue, wo die Übrigen entladen wurden. Meine Mutter hat so viele Geschichten erzählt, und Tag und Nacht hatte sie die
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