Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
der Decke nahm an Größe und Umfang zu, und im selben Augenblick, als auf der Zwölf-Uhr-Position ein Stiel zu erkennen war, löste sich die Bratpfanne aus der Verankerung, fiel mit lautem Getöse auf den Boden – einige Fliesen gingen zu Bruch – und hüpfte scheppernd, bis sie endlich liegen blieb. Sie war groß wie eine Radkappe, geschwärzt von Tausenden in ihr gebratenen Mahlzeiten, massiv und schwer. Und wäre ich nicht zur Seite gesprungen, hätte ihr Gewicht wohl meinen Schädel zertrümmert oder mir das Genick gebrochen. Der alte Mann streckte einen nackten Fuß aus, um ihre Schwere abzuschätzen, doch er konnte das Gusseisen nicht einmal einen Millimeter bewegen.
Aus meinem Schlafzimmer hörte man eine wütende Stimme unverständliche Flüche ausstoßen, eine Tür flog auf, und jemand stapfte in den Flur. Voller Zorn kam sie herein, starrte auf das pfannenförmige Loch in der Decke, dann auf die Bratpfanne auf den Fliesen und spuckte eine weitere Flut eines Kauderwelschs aus, das nach Beschimpfungen auf Französisch klang oder nach einem mit Spanisch und Englisch gewürzten persönlichen Patois. Ihre dunkelbraunen Augen fixierten mich, und ich sah Zorn in ihnen auflodern und sich wieder besänftigen. Da sie die Absurdität des Augenblickes erfasste, brach sie in ein Gelächter aus, das die köstliche Färbung eines mit Zuckerrohr gesüßten Kaffees hatte.
Sie war eine schöne junge Frau afrikanischer Abstammung mit einer Haut in sattem Braun, groß und mit schlanken Gliedern. Wie die anderen war auch sie elegant gekleidet, sie trug ein Cape in königlichem Violett, das am Kragen, am Ärmel und am Saum mit goldenen Löwinnen verziert war. Goldene Ringe schmückten die Finger beider Hände und auch den zweiten Zeh ihres linken Fußes. Eine dicke Goldkette schlang sich um ihren Knöchel, und riesige goldene Creolen, rund wie Untertassen, reichten ihr bis zu den Schultern. Um ihren Kopf hatte sie ein Tuch geknotet, das – einem Turban nicht unähnlich – ihr Haar verdeckte. »J’arrive trop tard« , sagte sie. »Il n’a pas reçu la casserole sur la tête. Merde.«
»Ah, Sie sind Französin«, sagte der alte Mann und fragte sie, als er die Verwirrung auf meinem Gesicht sah: » Parlez-vous anglais ?«
»Sprich Französisch mit mir. Das ist die Weltsprache.«
Der alte Mann gluckste leise vor sich hin. »Es war einmal. Jetzt bist du im modernen Amerika«, sagte er. »Ce fou-là ne sait rien du français.«
Über seine Antwort deutlich verärgert, sagte sie nichts, stattdessen öffnete sie den Haken ihres Umhangs und ließ ihn zu Boden fallen. Nackt und ungeniert schloss sie die Augen und griff nach hinten, um den Knoten ihres Turbans zu lösen. Als sie das Tuch hob, floss ein Sturzbach schwarzer Tinte über ihr Gesicht und umhüllte ihren Körper wie ein Wasserfall. Als der letzte Tropfen in das Kleid zu ihren Füßen geflossen war, blieb auf jedem Quadratzentimeter ihrer Haut ein Muster zurück. »Sei nicht plötzlich so tugendhaft«, sagte sie in stockendem Englisch. »Komm näher und schau dir das an. Erzähl mir nicht, dass du deine Marie vergessen hast.«
Auf ihrer Haut standen in kleiner, spinnenartiger Schrift tausende Wörter. Ich betrachtete den Satz, der an ihrem Schlüsselbein entlanglief, bevor ich mich meinem Unvermögen ergab. »Es tut mir leid, aber ich kann kein Französisch lesen.«
»Ich aber!«, rief der alte Mann und rieb sich fröhlich die Hände. Er trat näher und stellte sich vor sie, seine Nase nur wenige Zentimeter von ihrer Stirn entfernt, und überprüfte sogleich den Anfang der dort aufgeschriebenen Geschichte. »Ich werde es dir übersetzen«, sagte er zu mir und küsste dann den ersten Satz, der in Tinte auf ihrer Haut stand, und rief: »Avec plaisir!«
Kapitel acht Die Frau, die den Voodoo tanzte
E r begann auf Französisch. »Il était une fois … Bekommen wir ein Märchen geboten? «
»Nein«, sie schüttelte den Kopf. »Es ist eine wahre Geschichte. Jedes Wort.«
Nachdem der alte Mann aus der Brusttasche seines Bademantels eine Nickelbrille gezogen und sie auf die Nase gesetzt hatte, spähte er durch die Gläser und beugte sich so weit vor, dass er nur noch wenige Zentimeter von ihrer Haut entfernt war, und übersetzte beim Lesen.
»Es war einmal ein Krokodil, das so hungrig war, dass es die ganze Welt fressen konnte. Am Ufer des Flusses versteckte sich das Krokodil im Wasser, und wenn die anderen Tiere kamen, um ihren Durst zu löschen – denn es ist immer
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