Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
konnte, übertrug sie mir. Die einfachen Dinge – nähen, flicken, eine Henne rupfen oder Mais schälen, Geschirr spülen, abstauben und polieren – bereiteten mir keine Probleme, denn meine Mutter hatte es mir gezeigt und mich oft um Hilfe gebeten. Selbst der normale Waschtag war erträglich, wenn auch, der vielen Kinder wegen, endlos. Am schlimmsten war, wenn wir die Betten abzogen, die Vorhänge und schmutzige Leintücher abnahmen, was etwa einmal in jeder Jahreszeit vorkam. Die Last war so schwer, dass mir fast der Rücken brach. Die arme Hachard konnte es nicht aushalten, in heißes Wasser zu greifen, es ging ihr auf die Gelenke und verursachte ihr ärgste Schmerzen. Belohnung für alle verhassten Aufgaben war mir die Zeit in der Küche als Hachards Hilfsköchin – das Zerkleinern von Zutaten oder das Anrühren von Saucen und Mehlschwitzen. Beim Kochen benannte Hachard jede Zutat, jeden Schritt – eine Prise Salz, drei Löffel Butter, rühren, bis der Zucker schmilzt und andickt –, und ich nahm jedes Wort auf und merkte mir unwillkürlich all ihre Geheimnisse. Vielleicht gab sie die Traditionen bewusst an mich weiter, vielleicht aber war sie bloß dankbar für die Gesellschaft. Für jemanden, mit dem sie reden konnte, obwohl sie wenig zu sagen hatte.
Einmal im Monat gewährte Madame LaChance Hachard einen freien Tag, und dann verbrachte das alte Mädchen den halben Vormittag damit, sich zurechtzumachen; sie tauschte ihren Arbeitskittel gegen ein Kleid in verblasstem Kornblumenblau, ließ mich dann ihr Haar auskämmen und puderte sich unter den Armen, bis sie so süß wie ein Baby roch. Bei den ersten wenigen Malen fragte ich sie, wohin sie gehe und ob ich mitkommen könne, doch sie winkte nur ab und sagte: Lass es gut sein, mein Kind. Oder: Vielleicht einmal, wenn du groß genug bist und auf dich aufpassen kannst, Marie, denn diese Schufte würden sich jetzt auf dich stürzen wie Wespen auf eine Zuckerstange. Wenn sie an diesen Sonntagabenden spät zurückkehrte und, darauf bedacht, kein Geräusch zu machen, durch die Hintertür hereinschlüpfte, war ihr Haar wild zerzaust, ihr Kleid voller Schwitzflecken und ihr Mund verbeult und geschwollen wie ein reifer Pfirsich. Einige Male roch sie nach Alkohol und Rauch, und einmal in diesem ersten Jahr schrie sie auf, als sie sich auf das Bett legte. Oh, der Wüstling hätte mich am liebsten umgebracht! Ich lief zu ihr, um nachzusehen, ob sie tatsächlich verletzt war; und in der Dunkelheit berührte ihre raue Handfläche meine Wange, und sie flüsterte: Ma chérie, es gibt nichts, wofür ich auf diese Nächte verzichten würde. Mit ihm bin ich toujours gaie, und sie sind der einzige Grund, weiterzuleben.
Am nächsten Morgen wachte sie früh auf und ließ mich trotz des trüben Wetters eine Wanne nach draußen ziehen. Im Juli ist die Luft selbst im Morgengrauen schwer und drückt auf den Körper, bis man kaum noch atmen kann. Sie zog sich langsam aus und glitt ins Wasser, wobei ihr jeder schmerzende Knochen gegenwärtig war. Ich saß neben ihr auf dem Wannerand, tauchte ein Tuch ins Wasser und wrang es über ihrem Haar aus, rubbelte über die Höcker ihrer Wirbelsäule und massierte ihr die Schultern. Das tut gut, mein Kind, du bist ein gutes Mädchen. Zum ersten Mal bemerkte ich die Narben auf ihrer Haut. Woher habt Ihr diese Striemen, Miss Hachard? Vom Auspeitschen, sagte sie. Warum hat man Euch ausgepeitscht? Weil ich zu viele Fragen gestellt habe, sagte sie und tauchte tiefer ins Wasser. Wir werden einen neuen Gouverneur bekommen, sagte sie schließlich. Die Spanier werden jemanden herschicken, der endlich Ulloa ersetzt. Die ganze Stadt wird voll von Spaniern sein.
Die ›Lords of misrule‹, die Herren der Missherrschaft, hatten die Macht, doch die Gerüchte, der spanische König werde einen neuen Mann entsenden, hielten sich hartnäckig. Und tatsächlich besprachen der Master und die Mistress fast jede Woche die Aussichten. Ich fragte Hachard in ihrer Wanne: Wer wird es denn nach Meinung der Leute sein? Mon Dieu, sie spuckte die Worte förmlich aus: Es heißt, er sei ein Ire. Sie fröstelte in dem kühl werdenden Wasser. Nun hilf mir aus dieser Wanne, bevor ich noch an einer Lungenentzündung sterbe.«
Als der alte Mann an der Kuppe des anderen kleinen Fingers angelangt war, dachte er dieses Mal daran, Marie zu fragen, wo er nach der Fortsetzung der Geschichte suchen solle. Sie deutete auf ihr Herz, und er sah die erste Zeile entsprechend der Wölbung
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