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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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ihrer Brust ansteigen und abfallen. Die Riesenmotte flatterte gegen die Scheibe und ließ sich dann auf einem Fleck nieder, der näher am Licht war. Wir alle beugten uns vor, um zuzuhören. Mit dem gespielten beruflichen Desinteresse eines Geschichtenerzählers betrachtete der alte Mann die Tintenschrift auf ihrer Brust und setzte wieder an.
    »Ein Dutzend Schiffe segelten mit wehenden spanischen Flaggen den Fluss hinauf. Die ganze Stadt war auf den Deich gekommen, um sie willkommen zu heißen. Trotz der Hitze trugen der Master und die Mistress ihre feinsten Leinenkleider, denn sie würden mit anderen Mitgliedern der guten Gesellschaft bei der offiziellen Zeremonie einen Ehrenplatz auf der Estrade einnehmen. Hachard und ich sollten später die Kinder mitnehmen und mit den Schaulustigen von der Anlage aus, von der man den gesamten Platz überblickte, zusehen. Ich hatte noch nie ein derartiges Spektakel und so ein Gedränge erlebt. Als die Spanier ankamen, wurde gesungen und getanzt, getrunken und geraucht, gespielt und weiß Gott noch was alles, die Stimmung kochte hoch und wurde immer ausgelassener. Das jüngste Kind, Georges, machte einen solchen Aufstand, dass ich es unbedingt die ganze Zeit auf dem Arm tragen musste, was mich zur Ruhe zwang. Es schien ewig zu dauern, bis das erste Schiff vertäut war. Während wir warteten, schob sich ein älterer Mann an Hachard heran, und sie tauschten übliche Artigkeiten aus; doch ich bin sicher, dass ich währenddessen seine Hand mehr als einmal auf ihrer Schulter sah. Ich überlegte, ob dieser große Kerl der Mann sei, der sie toujours gaie machte, doch ich wagte nicht zu fragen. Die Ersten, die von Bord gingen, waren schwarze Seeleute, und ich sagte dem großen Kerl: Ich wusste gar nicht, dass sie Sklaven erlauben, Boote zu segeln. Und er entgegnete: Das sind keine Boote, sondern Schiffe, und das sind keine Sklaven, sondern Freigelassene aus dem kubanischen Habana. Wie kann das sein?, fragte ich, und er sagte: Kindchen, nicht alle Schwarzen sind in Ketten.
    Ich grübelte über diese Erklärung nach, während die Seeleute und Soldaten die Gangway hinunterströmten; und als Letzte begaben sich die Gefolgsleute des Gouverneurs zu der Bühne, die mitten auf dem Platz errichtet worden war. Von meiner Position aus hatte ich keine gute Sicht, doch letztendlich sah ich den Iren, keine gepuderte Perücke, sondern rabenschwarzes Haar, das sich von seiner blassen Haut abhob, und das feine Gewand und die Kniehosen eines Gentleman, die Brust behängt mit Bändern und Medaillen. Herzlicher Applaus begrüßte ihn, aus der Anonymität der Menge brüllten einige Rowdys. M. LaChance und die anderen setzten sich, um der Rede zu lauschen, und wir in den Anlagen blieben an unserem Platz und spitzten die Ohren. Der neue Gouverneur sprach zuerst auf Spanisch zu uns, und einige Wörter, die Ähnlichkeit mit unserer Sprache hatten, verstand ich sogar; dann wiederholte er seine Ansprache auf Französisch, in der er den Menschen von New Orleans Gottes Segen wünschte und Glückwünsche von König Carlos überbrachte. Es war eine Überraschung, diesen Namen zu hören und Ankündigungen, die nicht nur einen zukünftigen neuen Wohlstand versprachen, sondern auch eine Rückkehr zu Recht und Ordnung. Und erneut begann er mit seinen Grußworten, doch diese dritte Sprache erschloss sich mir nicht, obwohl seine Stimme die Worte so natürlich und süß vortrug, als sänge er ein Lied. Was ist das für eine Sprache?, fragte ich. Spricht Gouverneur O’Reilly Irisch? Der große Kerl lachte über mich und sagte: Nein, das ist die Sprache der Engländer im Mund eines Iren. Klingt wie ein Furz, der durch eine Flöte schwingt. Hachard gab ihm für diese Bemerkung einen Klaps auf die Schulter, doch insgeheim lächelte sie. An diesem Tag waren wir alle glücklich, obwohl es das einzige Mal bleiben sollte, dass ich O’Reilly zu Gesicht bekam. Doch in den folgenden Monaten sollte ich noch mehr von ihm hören, und er sollte mein Leben vollkommen verändern. Er gab mir Hoffnung.
    Ein leises Kichern von Marie unterbrach den Vortrag des Alten, er streckte sich und hob den Blick, um den Grund ihrer Heiterkeit zu erfahren. Er hatte an einer Stelle genau unter ihrer Brust innegehalten. »Tut mir leid«, sagte sie, »aber dein Haar hat mich gekitzelt.«
    Er glättete den silbrigen Hahnenkamm, der auf seinem Kopf spross. »Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, Mademoiselle.« Als er die Hand wegnahm, richteten seine Haare

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