Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
sich sofort wieder auf, und alle Frauen glucksten. Irgendetwas an diesen wilden Haaren und der Nickelbrille erinnerte mich an eine bekannte Persönlichkeit, deren Gesicht einst oft auf Fotografien zu sehen war, doch ich konnte noch immer keinen Namen mit diesem Mann verbinden. Nach einer kurzen, korrekten Verneigung beugte er sich wieder über seine Arbeit.
Keine vier Tage nach der Ankunft O’Reillys und seiner schwarzen Freigelassenen verteilten kubanische Soldaten Flugblätter in der ganzen Stadt, die die Verhaftung der akadischen Anführer verkündeten, die den früheren Gouverneur Ulloa aus New Orleans verjagt hatten. Ich musste den Master anflehen, er möge mich doch zur Exekution in die Stadt gehen lassen; doch lehnte er meine Bitte ab und meinte, das sei nichts für ein farbiges Mädchen. Hachard war weitaus klüger und teilte der Mistress einfach mit, sie müsse an diesem Morgen unbedingt auf den Markt, und ich solle sie begleiten, um die Sachen nach Hause zu tragen. Was musst du denn kaufen?, fragte Madame. Ist es so schwer, dass du das Mädchen brauchst? Tabak, antwortete Hachard, aus Habana, und meine Freundinnen erzählen, dass es coquilles d’huître, groß wie kleine Hennen geben soll, und Ihr wisst, wie sehr der Master des huîtres liebt.«
Verdutzt über dieses Wort, hielt der alte Mann inne.
»Austern«, kam ihm Marie zu Hilfe.
»Ja, entgegnete Madame, jedes Mal, wenn er Austern isst, macht er mir ein neues Kind. Sie griff in ihre Börse und holte eine weitere Münze heraus. Wenn du schon Austern kaufen musst, sagte sie, dann kauf die fettesten, damit sich der alte Bock so vollfrisst, dass er sich nicht mehr rühren kann und mich heute Nacht in Ruhe lässt. Merci , Hachard knickste, und wir machten uns auf den Weg.
Die französischen Übeltäter wurden schnell wegen Verbrechen gegen den spanischen König vor Gericht gestellt, da sie seinen Gouverneur vertrieben hatten. Einige der Rebellen wurden auf O’Reillys Befehl lebenslang ins Morro-Gefängnis in Habana verbannt und ihre Ländereien von der Regierung konfisziert. Die fünf Anführer wurden hingerichtet, vielleicht – ich weiß es nicht – als warnendes Beispiel für andere, die Verrat im Sinn hatten. Wir wollten unbedingt die Hinrichtungsstätte sehen. Als wir ankamen, verstellte uns eine große Menschenmenge den Blick, doch die Nachricht ging von einem zum anderen, die Gefangenen seien gefesselt, trügen Augenbinden und müssten sich in strammer Haltung an die Wand stellen. Kaum waren diese Worte an unser Ohr gedrungen, krachten laute Musketensalven, mehrere Schüsse, alle auf ein Kommando; und anschließend eine einzelne Kugel, als hätte ein Mann die erste Runde überlebt und würde mit einem zweiten Schuss getötet. Die Menge verlief sich umgehend, und die Truppen, deren elegante Uniformen sauber und bedrohlich aussahen, marschierten ab; und ich war erschüttert, als ich sah, dass drei der acht Musketiere Schwarze waren wie ich und zwei weitere Mulatten. Dass ein Schwarzer einen Weißen tötete, war undenkbar; doch das waren die Veränderungen, die der spanische Ire herbeigeführt hatte.
Von diesem Augenblick an nannte man ihn den »Blutigen O’Reilly«, doch ich weiß nicht, wie er auf Spanisch genannt wurde. Nachdem acht Sklaven die Leichen von der Mauer weggeschleppt hatten, war nichts zu sehen außer den Dellen im weichen Putz, in denen die Kugeln steckten, die entweder ihr Ziel verfehlt oder die Opfer durchschlagen hatten. Einige Handvoll Sägemehl saugten das Blut von der Erde auf, und ich gestehe, dass ich Mitleid für diese Männer empfand, welche Sünde sie auch immer auf ihre Seele geladen hatten. Jedes Gefühl von Freiheit, das ich empfunden haben mochte, auf dem Markt dabei zu sein, war in meiner Vorstellung nun durch den Iren verdüstert.
Doch man soll ein Schachspiel nicht nach dem Eröffnungszug beurteilen. Die Geschichten über die Taten des Gouverneurs gingen bei den Weißen um und drangen schließlich bis zu unseren Leuten, wo die Neuigkeiten höchst willkommen waren. Er duldete keinerlei Respektlosigkeit von den Franzosen und verwies die ausländischen Händler der Stadt – mit der einzigen Ausnahme von Oliver Pollock, auch er ein Ire. Wie sie doch zusammenhalten! Vor allem aber schien der Gouverneur auf der Seite der Geknechteten zu stehen. Der große Kerl erklärte Hachard, die seine Auffassung an mich weitergab, dass O’Reilly als Mann eines Volkes, das schon lange leide, es nicht ertragen habe, sich in
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