Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
Abdeckung für das Loch im Boden zu suchen. An der gegenüberliegenden Wand lehnte eine gerahmte Lithografie, ein Geschenk einer Freundin – Sita ist ihr Name, es freut mich, dass ich mich daran erinnere. Wir hatten es bei einer Gustav-Klimt-Retrospektive in der National Gallery of Art gekauft. Das Plakat war gerade groß genug, um das Loch abzudecken, doch bevor ich es über die Öffnung schob, nutzte ich die Gelegenheit, in das darunter liegende Badezimmer zu spähen. Es war leer. Niemand zu sehen. Keine Marie, keine Alice, keine Jane, keine Dolly, und der alte Beckett war auch verschwunden. Nichts zu machen. Ich streckte den Kopf durch das Loch und warf prüfende Blicke in alle vier Ecken und auf den Duschvorhang. Sogar das Baby war weg. Zum ersten Mal seit meinem Sturz fühlte ich mich völlig verloren. Manchmal gibt es nichts Schrecklicheres, als im eigenen Haus allein zu sein. Ich warf einen Blick auf meine Uhr und deckte dann sorgsam mit dem Plakat das Loch ab. Kein Licht drang von unten herauf. Falls überhaupt möglich, war ich mit meinen Gedanken noch einsamer.
Ich rannte zur Treppe, kletterte rückwärts die Stufen hinunter, hüpfte von der untersten und blieb vor meiner Schlafzimmertür stehen, um herauszufinden, ob auch die schlafenden Schönheiten mich verlassen hatten. Das Gewirr aus Gliedern und Leibern hatte sich auf vier Sets verringert. Vom Licht überrascht, schlugen drei der Frauen die Augen auf, und die vierte bot noch immer ihren Rücken dar, als hätte sie sich die ganze Nacht nicht bewegt. In der Hoffnung, dass sie alle wieder einschliefen, zog ich mich rasch zurück. Meine Finger, die den kalten Türknauf umfassten, ließen in mir Erinnerungen an die Weihnachtsmorgen aufsteigen, wenn mein Bruder und ich uns aus unseren Betten stahlen, nachsahen, ob die Eltern hinter ihrer geschlossenen Tür noch schliefen, dann auf Zehenspitzen aus ihrem Schlafzimmer schlichen und vorsichtig den Knauf drehten, damit er nur leise klickte, und dann hinunter ins Wohnzimmer stapften, wo wir die Lichterketten am Baum anknipsten und bis zum Morgengrauen auf unser Spielzeug und unsere Geschenke sahen. Nie waren mein Bruder und ich uns näher als in diesen stillen Momenten, die voller Hoffnung, Vorfreude und Wohlwollen waren. Wir warteten mit geduldiger Spannung auf das Kommen von Mr. und Mrs. Godot, die zwar schlaftrunken, aber auch von ihrer eigenen tiefen, heiligen Freude überrascht waren. So viele Jahre später weckte der Türknauf in meiner Hand Erinnerungen an sie, und wenn auch nur in dem Augenblick, als ich ihn losließ.
Da die Teppiche im Flur den Schritt meiner nackten Füße dämpften, konnte ich lautlos wie Rauch zum Badezimmer schleichen und das Ohr an die Tür legen. Ein Frauenlachen trällerte auf und verstummte allmählich, und eine leise Stimme sagte etwas Lustiges, sodass alle Frauen aufjohlten. Ihre tatsächlichen Worte konnte ich nicht verstehen, darum befürchtete ich einerseits, sie könnten über mich reden, andererseits bedauerte ich, bei all der Fröhlichkeit nicht dabei zu sein. Ich klopfte zweimal und ging hinein.
In ihrem Partygetümmel aufgeschreckt, drehten sich alle zu mir um. Marie, die auf dem Rand der Badewanne stand, überragte die anderen, die sich vor ihr wie Zuschauer einer Stegreifaufführung aufgebaut hatten. Da sie wohl gerade aufgehört hatte, die Hüften zu schwingen, folgerte ich daraus, dass sie den Voodoo -Tanz vorgeführt hatte. Mit voller Lautstärke schleuderte ich ihnen meine Frage entgegen: »Wo wart ihr?«
»Wir waren hier«, entgegnete Beckett, »und haben auf dich gewartet. Die Frage ist doch: Wo warst du?«
»Du weißt nur zu gut, dass ich auf dem Dachboden war, um das Loch zu flicken. Ich fand ein altes Plakat von Sita, das die Lücke völlig abdeckt …«
»Die Tücke?«
»Nein, die Lücke. Mit L.«
»Die Lücke mit Tücke?«
»Als ich durch das Loch geguckt habe, wart ihr nicht da. Nicht da, wo ihr hättet sein sollen. Keine Menschenseele im Badezimmer.«
Dolly warf ein: »Vielleicht sind wir hinausgegangen.«
»Um uns die Nase zu pudern«, ergänzte Jane.
»Oder vielleicht bist du«, legte Alice nahe, »in das falsche Loch geraten.«
Marie nahm den Faden auf. »Genau. Wie in eine fünfte Dimension.«
»Da ist etwas dran«, stimmte ihr der alte Mann zu. »Wenn es doch einen Riss in der Zeit geben kann, warum dann nicht auch ein Loch, das in einen anderen Raum hinüberführt?«
In einer Ecke gluckste das Baby, das seine Finger mit seiner
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