Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
Mundhöhle erforschte. Ohne Hilfe setzte es sich auf, kerzengerade, als wäre es in der fünfzehnminütigen Unterbrechung deutlich älter geworden.
»Aber«, wandte ich ein, »ich war doch nur kurz weg, um das Loch abzudecken …« Ich sah prüfend nach oben, in der Erwartung, Klimts lebendige Farben, umrahmt von einem Loch in Bratpfannenform, zu entdecken. Aber da waren kein Bild und kein Loch, nur der glatte weiße Putz und der kleine Deckenventilator, der höflich im Hintergrund brummte. Im Waschbecken keine Langustenschalen. Keine zerbrochenen Fliesen auf dem Boden. Der Raum hatte sich selbst geheilt, und der einzige Unterschied zum sonst Üblichen war, abgesehen von den dicht gedrängt stehenden Leuten, dass sich in der Ecke Waffen stapelten – die gusseiserne Pfanne, der Besenstiel, die rostige Harpune und die bärengesichtige Kriegskeule. Ich kratzte mich am Kopf.
»Du hast gute Arbeit geleistet«, meinte Beckett. »Sollte dort tatsächlich ein Loch gewesen sein, man würde es nicht meinen, wenn man hinsieht.«
Darauf gab es nichts zu sagen. In seinem Kompliment schwang ein Hauch von Arglist mit.
»Aber es gibt ein anderes Loch, ein wirkliches Loch. Du hast uns auf der Klippe hoch über dem Canyon gelassen mit den Mädchen in ihren Cancan-Kleidern, die sich um das Piano drängen.« Womöglich konnte er die Rädchen in meinem Hirn sich drehen hören, denn er fügte hinzu: »Beginn noch mal von vorne, wenn es sein muss. Komme an einem Juninachmittag nach Hause und finde auf dem Rasen deines Vorgartens eine Orgie aus Chrom und Gummi. Sieben Damenfahrräder, und wer genau sind diese lasziven Zweiradfahrerinnen? Und was hat es mit dieser Melodie auf sich, als das Haus selbst Pagliacci singt?«
»Strauß«, verbesserte ich ihn. »Eine Frau singt die Lacharie aus der Fledermaus in einem provisorischen Musikzimmer, das im ehemaligen Zimmer meines Bruders eingerichtet ist. Seltsam, wenngleich es mein Bruder war, nicht ich, der sich etwas aus klassischer Musik machte.«
»Richtig. Also …«, sagte er und blinzelte. Dieses dritte Auge, das auf seinem Lid tätowiert war, wurde sichtbar, und die anderen hatten auch eines, mit Ausnahme von Marie, deren zweiter Blick sich auf ihren Händen befand. Auf beiden Handflächen war ein cartoonartiges Auge, aber die Worte auf ihrer Haut waren verschwunden.
»Sie trugen Netzstrümpfe und Petticoats, als wären sie gerade dem Wilden Westen entsprungen.«
»Eingestaubt und hochgeschnürt«, sagte der alte Mann. Aus der Badewanne ertönten zwei kurze bestätigende Juchzer. Ich meinte, ein Pferd auf der Treppe wiehern zu hören.
»Aber nicht unkultiviert«, sagte ich. »Eine Mischung aus Eleganz und Dekadenz.«
Marie räusperte sich. »Jungfrau und Hure.«
Ich achtete nicht auf ihre Äußerung. »Als die Sopranistin ihre Arie beendet hatte und der letzte Ton des Klaviers verklungen war, applaudierten die anderen Frauen höflich, und eine oder zwei begannen mit ihren silbernen Fächern zu wedeln, denn obwohl es erst Juni war, war der Sommer in die Stadt eingekehrt, und in dem Zimmer war es feucht und schwül. Ich hätte daran denken müssen, die Aircondition anzustellen, doch ich warte damit aus Prinzip immer bis zum ersten offiziellen Sommertag.«
»Ah, die Sonnenwende«, sagte Beckett. »Der längste Tag des Jahres. Doch diese Nacht macht ihm Konkurrenz, oder vielleicht scheint sie nur ewig. Wenn wir warten, ist jeder Augenblick bedeutungsvoll. Bist du sicher, dass du keine Zigaretten hast?«
»Ich rauche nicht.«
»Fang nie damit an. Es aufzugeben ist teuflisch schwer. Und ich entschuldige mich tausendmal für meine Unterbrechung. Wir haben die schwitzenden Showgirls im Salon verlassen.«
»Das war der Moment, wo sie mich zum ersten Mal wahrnahmen. Die Klavierspielerin stand auf, klopfte der Sängerin auf die Schulter und gab den anderen ein Zeichen, ebenfalls aufzustehen. Die Musik hallte noch im Zimmer nach. Ein gemeinschaftlicher Ruck des Wiedererkennens ging durch die ganze Schar. Wie ich es vielleicht schon gesagt habe, sie waren mir vollkommen unbekannt, wenn auch jung, schön und in allen Formen und Größen, die das Auge erfreuen. Eine attraktivere Gruppe von Frauen ist kaum vorstellbar. Doch trotz all ihrer modischen Capricen war ihr Verhalten traditionell und beruhigend. Ich hatte die Klavierspielerin früher schon einmal gehört und erinnerte mich an ihre eleganten Phrasierungen. Auch die Sängerin weckte in mir die verschüttete Erinnerung an dieselbe Arie
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