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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit, es war jedoch mehr als ein akustisches Echo, denn die Musik löste tiefe Gefühle in mir aus, die stöhnend an die Oberfläche drängten. Es ähnelte sehr einer Liebe, die man einst absichtlich vergessen hatte. Während ich die Frauen nicht kannte, kannten sie indessen mich und hatten auf mein Kommen gewartet, und nun, da ich zugegen war, eilten sie mit offenen Armen auf mich zu, liefen aneinander vorbei, um mich als Erste zu umarmen und zu küssen.«
    »Dich zu küssen, wirklich?«, fragte Beckett. »Das scheint mir unter diesen Umständen kaum glaubhaft.«
    Ich war in meinem Stolz verletzt, doch ich ließ mir nichts anmerken.
    Beckett trat zu mir und flüsterte vertraulich: »Du weißt doch, dass ich immer auf deiner Seite war, nicht wahr? Nur ein Ratschlag: Dreh dich nicht um, sondern strecke deinen Fuß nach hinten und schließe die Tür hinter dir.«
    Ich tat, wie mir empfohlen, und als die Tür ins Schloss fiel, knallte etwas in die Tür. Das Holz splitterte mit berstendem Krachen, als eine scharfe metallische Spitze es durchstieß. Die Waffe, die nur knapp meinen Kopf verfehlt hatte, sah aus wie ein Eispickel, wie ihn Bergsteiger benutzen, nur größer. »Ein Pickel für Goldgräber«, sagte Beckett, als läse er meine Gedanken.
    Ein Strom derber Flüche ergoss sich in den Flur, und die fluchende Frau auf der anderen Seite der Tür umklammerte den Griff und zog mit aller Kraft, um den Pickel freizubekommen und ihn ein weiteres Mal zu schwingen. Zwei Stampfer gingen einem erneuten Versuch voraus, daraufhin gab mir der alte Mann mit einem Handzeichen zu verstehen, ich solle die Tür öffnen und nachsehen, was sich auf der anderen Seite befinde. Wie ein Pitbull an der Leine zog eine recht kleine, aber drahtige Frau an dem Pickel; sie hatte ihre nackten Füße gegen die Tür gestemmt, sodass sie, als die Tür in den Raum hineinschwang, mit ihr hineinschwang. Ihre blaue Krinoline war bis zu den Waden hochgerutscht, und ihr Gesicht unter dem dunklen Haar wurde jedes Mal tiefrot, wenn sie sich erneut schindete. Wie Merlins Schwert im Felsen steckte die Pickelspitze fest im Holz, und sosehr sie sich auch mühte, sie konnte das tödliche Eisen nicht einen Millimeter bewegen. Je mehr sie kämpfte, desto wütender wurde sie; bis sie kaum mehr als zusammengebissene Zähne und unerschöpfliche Raserei war, sprudelte in höchst schockierender Bandbreite eine Sturzflut an Obszönitäten aus ihrem zarten Mund.
    »Junge Dame«, beschwor Beckett sie, »Sie werden niemals Erfolg haben, wenn Sie die elementaren Gesetze der Physik außer Acht lassen.«
    Sie spannte die Muskeln, hob die Schultern und strengte sich wieder an, doch vergebens. Im Augenblick der Kapitulation sackte ihr ganzer Körper in sich zusammen. Ein einziger kalter, harter Blick zu dem alten Mann löste sich in Resignation und kläglicher Hoffnungslosigkeit auf. Für den Bruchteil einer Sekunde empfand ich Mitleid mit ihr und wünschte, sie hätte, trotz der fatalen Konsequenzen für mich, ihr Ziel erreicht. In einer letzten Geste der Niederlage ließ sie den Stiel los und fiel hinterrücks auf den Boden. Der alte Mann, der sich freundlich zu ihr hinunterbeugte, half ihr aufzustehen und hielt sie am Ellbogen, als sie nervös an der Taille ihres Kleides herumnestelte und Fussel und Falten weg strich. Ganz Gentleman, führte er sie in den Raum hinein zu einem Platz zwischen den anderen Frauen, dann ließ er sie mit einer angedeuteten Verbeugung los und signalisierte mit erhobenem Zeigefinger, sie müsse sich benehmen. Anschließend trat er an die Spitzhacke heran und drückte gegen den Stiel, statt daran zu zerren, wie sie es getan hatte, und als die Spitze auf diese Weise frei wurde, zog er sie so geschickt aus dem Holz, als entfernte er einen Splitter aus der Hand eines kleinen Jungen. Er verbarg den Pickel hinter seinem Rücken, und das Mädchen in Blau verschränkte die Arme und schmollte.
    »Das ist nun keine Art, eine Geschichte zu beginnen«, sagte Beckett. »Fessle erst einmal deine Zuhörer, und übrigens: Das mür rische Gesicht steht dir nicht. Schenk uns ein Lächeln und eine große Geschichte, und wir schenken dir unser Ohr und unser Herz.«

Kapitel zehn Die Frau, die dem Goldrausch
und dem Silberfieber verfiel
    D ie vielen Menschen in dem kleinen Badezimmer machten mich ein bisschen klaustrophobisch, und wir drängten uns noch enger zusammen, um der neuen Frau eine Bühne zu bieten. Sie zog den Duschvorhang

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