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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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ich. »Beckett. Ein Ire, der zuerst auf Französisch schrieb und anschließend seine Worte ins Englische übersetzte. Gott segne Sie, Mrs. Stottlemeyer.«
    »Wen?«
    »Literaturstunde, elfte Klasse. Meine Lehrerin.«
    »Mrs. Stottlemeyer. Witzig, woran wir uns erinnern.«
    »Also bist du’s?«
    »Beckett?« Er hob die buschigen Augenbrauen. »Ich fürchte, Beckett ist tot. Schon seit einiger Zeit.«
    »Dann Becketts Geist?«
    »Hast du dich nicht erst vor Kurzem gekniffen und daraus den Beweis abgeleitet, dass dein jetziger Körper lebt? Vertraust du nicht deinen eigenen Sinnen? Und wäre ich bloß ein Ektoplasma, was würde es diesen jungen Schönheiten da drüben ausmachen? Ich versichere dir, Kleiner, sie sind genauso real wie du oder ich.« Mit flatternden Fingern winkte er den Frauen zu.
    »Wenn du nicht ein Geist, nicht mein Vater und nicht der irische Dramatiker Beckett bist, wer bist du dann?«
    »Du versuchst positiv zu reagieren, wendest es aber ins Negative. Alles zu seiner Zeit, Freundchen. Zunächst einmal sind da noch mehrere andere Frauen in deinem Bett …«
    »Und das ist noch so ein Ding«, sagte ich. »Warum sind sie hier? Was unterstellen sie mir mit ihren Geschichten? Dass ich irgendwie schuldig bin?«
    Der alte Mann legte mir eine väterliche Hand auf die Schulter. »Du bist überdreht, mein Junge, und wie ich schon sagte … wie du gesagt hast … es liegen weitere Frauen in deinem Bett, von denen wir noch nichts gehört haben.«
    Allein schon der Gedanke an diese anderen Wesen trieb mir beinahe die Tränen in die Augen.
    »Na, na«, sagte er. »Denk nicht weiter an deinen Kummer. Du bist doch so etwas wie ein Architekt, oder? Ein Baumeister? Warum flickst du nicht das Loch in der Decke?«
    Ein bratpfannengroßes Loch bot einen Durchblick bis zum Dachboden. Aller möglicher Krempel hatte sich dort oben über die Jahre angesammelt. Jedes einzelne Teil könnte aus der Öffnung quellen. Er hatte recht. In Anbetracht dieser Arbeit spürte ich, wie sich große Erleichterung in meiner Brust breitmachte. Ich hatte eine Aufgabe zu erfüllen.
    »Ganz genau. Geh schon.«
    »Danke …«
    »Würdest du dich besser fühlen, wenn du mir einen Namen gibst? Nenn mich Beckett oder wie immer du willst.«
    »Also gut, Beckett. Ich bin oben auf dem Dachboden und stopfe ein Loch. Damit ich aufhöre, mir Gedanken zu machen.«
    »Prima. Und ich hüte die vier Ladys. Das ist ein Pokerblatt für dich. Vier Königinnen und ein Bube.« Als wir auseinandergingen, klopfte Beckett mir auf den Rücken, und es war ein gutes Gefühl, endlich voranzukommen.
    Um auf den Dachboden zu gelangen, muss man an einem Seil ziehen, das die Luke öffnet, sodass eine Treppe bis knapp über den Boden herausgleitet. Eine geniale Vorrichtung aus einer anderen Ära der Haustechnik, aber mit zwei bedeutenden Nachteilen: Man braucht eine Leiter oder einen Stuhl, um das Seil zu erreichen, und man muss von der Leiter steigen, ehe man an dem Seil zieht, denn die Dachbodentreppe rauscht schnell und ohne Vorwarnung herunter. Ich nahm einen Stuhl aus dem Zimmer meines Bruders und erinnerte mich, wie er seine Füße um die Stuhlbeine schlang, wenn er an seinem Schreibtisch arbeitete, vergaß dabei jedoch die herabgleitende Treppe, die mich quer auf der Brust traf, sodass ich auf den Hintern fiel und der Stuhl polternd durch den Flur flog. Ich erwartete, dass mir jemand zu Hilfe eile, doch die einzige Reaktion war ein gedämpftes »Nicht so laut!« von Beckett hinter der Badezimmertür, der wer weiß was mit den vier Frauen anstellte. Ich rappelte mich auf und stieg die Treppe zum Dachboden hinauf.
    Ein Licht empfing mich, das zwar Schatten warf, aber nicht die Winkel des Dachbodens ausleuchtete. Der muffige Raum roch leicht nach gebratenem Steak und heißem Metall. Und ein beständiges Brummen war zu hören, das jedes Mal, wenn ich stehen blieb, lauter wurde. Nach der Ursache dieses Störgeräuschs zu suchen, hätte die ganze Nacht gedauert und mich problemlos verrückt gemacht; doch zum Glück dachte ich mehr an meine Vorliebe für zwanghaftes Verhalten als an das Geräusch selbst und erreichte eine Ebene absurder Selbstreflexion, wo ich das Denken gänzlich einstellen konnte. Inmitten des Wusts gab es Hinweise, die mir womöglich helfen würden, eine rationale Erklärung zusammenzuzimmern, wie ich hier gelandet war, ein lang vergessenes Artefakt, das die Aussetzer meines Gedächtnisses erhellen würde, doch meine unmittelbare Absicht war, nach einer

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