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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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dem Weg nach Missouri. Wie tausend andere, als strömten sie in einen Trichter.
    Wie so viele hatte sie der Goldrausch gepackt, sie waren ganz verrückt danach, sodass sie auf der Suche nach Gold das ganze Land durchquerten. Sie waren Argonauten, Neunundvierziger, und machten sich vom Becken des Ohio mit zwei Ochsen, gekauft in St. Joe, über Land auf den Weg. Ganze Menschenschwärme zogen über Ebenen und Berggipfel. Eine Reise von äußerster Langeweile und unablässiger Härte, verloren im erbärmlichen Nichts der Great Salt Desert, krank geworden vom Wasser, das nach Kalk und Knochenmehl schmeckte, und vom Kauen des getrockneten Rind- oder Büffelfleischs, und niemals eine Spur von Getreide, eines Ap fels oder einer Leckerei, die zu Hause zurückgeblieben waren. Manche schafften es überhaupt nicht, gesotten und ausgeblichen von der Sonne oder erfroren beim Durchqueren von höheren Lagen. Dahingerafft von der Cholera oder einem verfluchten Unfall, einem Fehltritt, einem mangelnden Urteilsvermögen. Ist es nicht immer so, dass das Schicksal hinter dem Horizont darauf harrt, dich zu überrumpeln oder dich zu belohnen? Und alle, die über die Sierras kamen, waren erschöpft, ausgezehrt und mit Blasen übersät und, ach, so müde. Jamie und Florence waren gerade zwanzig und neunzehn, als sie aufbrachen, und fünf Monate später schienen sie um zehn harte Jahre gealtert. Sie saß den größten Teil der Strecke hinten im Planwagen, er aber ging zu Fuß oder ritt auf einem guten Kentucky-Wallach nebenher, bis das arme Pferd mit einem Huf in einem Hasenloch hängen blieb und neben dem Pfad notgeschlachtet wurde. Von da an ritt Jams auf einem Maultier. Oder lief, wenn das Tier störrisch war. Wind und Sonne brannten ihn tiefbraun von der Hutkrempe bis zum Hemdkragen, bis er kaum noch von den roten Niggern, Entschuldigung, von den Indianern zu unterscheiden war, die sie ab und zu unterwegs trafen. Kilometerweites Laufen stählte auch seinen Körper, bis Jams sehnig und wild wie ein halb verhungerter Kojote aussah. Während Flo nicht mehr auf das Minenleben vorbereitet war als bei ihrer Abreise von Harlan County, bewunderte sie, wie sehr es ihr Mann mit Körper und Seele war, als sie in Sacramento ankamen, um sich auszustatten. Niemand von ihnen war voll und ganz vorbereitet auf die harte Arbeit, die sie erwartete, denn sie hatten gehört, es gebe reichlich Gold, das man aufsammeln könne. Doch sie irrten sich alle. Es lag nicht einfach auf dem Boden herum, sondern war wie alles Gute verborgen, und zudem waren sie auch nicht die Einzigen, die danach suchten. Jamie und Flo fingen wie all die anderen Unerfahrenen als Goldwäscher an, und ein primitiveres Verfahren gibt es gar nicht, doch es ist anstrengender, als man denkt.
    Bedauerlicherweise drang ein leises Glucksen aus meiner Kehle.
    »Glaubst du etwa, das ist leicht, du Naseweis?« Mit einem Ruck zog sie den Duschvorhang auf, der in der Wanne einige Zentimeter hohes Brackwasser wie in einem Bachbett freigab. »Wenn die Gentlemen nichts einzuwenden haben?« Sie reichte Beckett und mir je eine Goldpfanne und ließ die dritte wie einen Kuchenteller auf der Spitze ihres Mittelfingers kreisen. »Ihr schaufelt bitte etwas von diesem Flussgrund hinein, dazu obendrauf etwas schlammiges Wasser und dann gleichmäßig kreisen lassen, wobei ihr unverwandt hineinschaut. Ihr sichtet und achtet auf das verräterische Funkeln.«
    Der alte Mann begriff es sofort, er hockte sich auf die Fliesen und sah mit prüfendem Blick auf den Dreck, den er eingefüllt hatte. Ich hingegen – weniger sicher, wie ich es anstellen sollte, und zum Teil in Sorge wegen der Schweinerei, die wir machten, und der bevorstehenden Aufgabe, den Boden wieder zu putzen, beugte mich nur widerstrebend darüber. Ich schöpfte fünf Zentimeter kieselhaltigen Schlamm und etwa zwei Zentimeter Wasser in die Pfanne und starrte, durch das Spiegelbild meines eigenen Gesichts hindurch, auf ihren Boden und sah nichts außer einer trüben Erinnerung an mein eigenes stumpfsinniges Leben. Wie war ich letztlich hier mit diesen Fremden gelandet? Nicht einer unter ihnen, dem ich ernsthaft vertraute, und Fragen wirbelten in meinem Hirn herum. Als ein Pünktchen im Dreck aufblitzte, fischte ich es wie ein Chirurg mit der Spitze meines kleinen Fingers aus dem Sediment. »Heureka!«, rief ich und hielt das Fitzelchen hoch, damit es alle sahen. Der alte Mann grinste über meinen Fund und versuchte, seine Goldpfanne in den Falten seines

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