Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)
einem Augusttag nahm sie regelmäßig alle Kinder für ein Glas kühlende Eiskrem mit zum Fountain Head oder zum Branch, ohne über die Ausgaben für einen Mann und eine Kutsche nachzudenken, allein um sie dorthin zu bringen. An Dampfertagen, am dreizehnten und achtundzwanzigsten eines jeden Monats, liefen die Schiffe von Osten ein und brachten ihnen Leckerbissen aus New York und Philadelphia. Knöpfe und Schleifen. Kreisel und Allerlei, Dresdner Puppen und Steckenpferde. Den Kindern mangelte es an nichts, darum kümmerte sie sich, und hätte nicht der Krieg der Nördlichen Aggression gewütet, wäre sie mit ihnen allen für einen Besuch nach Kentucky gereist, wäre dort stilvoll angekommen, um all ihrer Verwandtschaft und den Mädchen, mit denen sie aufgewachsen war, zu zeigen, wie schön das Leben für die, die hart arbeiteten, geworden war. Mit ihrem alltäglichen Handeln versuchte sie den Worth-Söhnen die einfache Wahrheit dieser Lektion zu vermitteln, doch Jams und Eben ließen lieber das Geld für sich arbeiten.
Als das letzte Quäntchen Gold aus ihren Claims ausgegraben war, verkauften sie alles und entließen ihre Arbeiter; die Chinesen, die so lange und ehrlich den Worth-Betrieben gedient hatten, bekamen einen Zwanzig-Dollar-Bonus. Stück für Stück verschwand ihr Grundbesitz, und ihr Eigentum verwandelte sich in die Nummer eines Bankkontos. Sie hätte lieber an dem, was real war, festgehalten, wäre lieber über ihren Grund und Boden gestampft, hätte lieber ihr kaltes Bargeld befingert, doch Jamie beharrte darauf, dass die in ihre Kontobücher gekritzelten Zahlen ebenso wertvoll waren wie Gold. »Bei Geschäften und Handelspapieren springt mehr heraus als das Kapital und die Arbeit des Geschäftsmanns«, sagte er ihr. 1862 machte Jamie in einer einzigen Woche ein kleines Vermögen durch den Kauf und raschen Verkauf der Aktien eines Unternehmens, das das Unionsheer mit Decken belieferte, als das Wetter dort im Osten plötzlich kalt wurde. Auch sein Bruder wurde ein reicher Mann und stattete sich selbst verschwenderisch mit den Insignien des Wohlstands aus. Ebenezer trug maßgeschneiderte Anzüge, nietenbesetzte Hemden und aus dem fernen Italien und Spanien importierte Schuhe. Eine Zimmerflucht im Parker House und drei Mahlzeiten am Tag in den besten Restaurants der Stadt. Nächte in der Oper und Tage beim Pferderennen. Eine Wette zu einem Dollar auf alles, etwa ob die Konföderierten Shiloh würden halten können, bis zur Frage, ob er dem chinesischen Schuhputzer beibringen könne, einen Satz in passablem Amerikanisch zu sprechen, ehe er ihm beide Stiefel geputzt hätte. Er rauchte Zigarren, zwei Dollar das Stück, und genoss den feinsten Alkohol und die feinsten Huren jeder Hautfarbe und jeder Nationalität. Ein Wunder, dass er sich trotz seiner großen Bemühungen nicht ausrechnen konnte, wann er sein Vermögen verpulvert hatte.
Nunmehr ohne Goldminen, aber mit überschießendem Enthusiasmus machten sich die Brüder Worth daran, sich nach einem anderen Projekt umzusehen, das ihnen ohne Schweißausbrüche Geld einbrächte. Sie suchten nicht weiter als jenseits der Sierras, die sie vor so langer Zeit überquert hatten, und trafen dort in den Silberminen von Nevada auf die nächste Welle von Spekulanten. Aufgeregt wie zwei Schulmädchen lasen sie die Zeitungen und lauschten den Gerüchten auf den Straßen, und im darauf folgenden Jahr brachen sie zu einer Expedition nach Virginia City auf, um sich die berühmte Comstock Lode aus der Nähe anzusehen und herauszufinden, welche Projekte Nevada für so verwegene Männer wie sie bereithielt. Das Silberfieber hatte sie gepackt, und dagegen gibt es kein anderes Heilmittel als das Silber selbst.
Nach diesem trefflich formulierten Gedanken hielt sie inne. Mit dem rechten Daumen und Zeigefinger griff sie wie mit einer Pinzette in das Dekolleté ihres blauen Kleids und zog einen brennenden Zigarillo hervor, nahm einen tiefen Zug und blies eine Rauchschwade zum offenen Fenster. Beckett sah sie schräg an und deutete mit dem Kinn auf das in seinen Armen schlafende Baby. »Ts, ts, ts«, machte er. Flo nahm einen letzten Zug, ehe sie den Zigarillo unter einem Wasserstrahl, der aus dem Hahn des Waschbeckens hervorquoll, ausmachte. Plötzlich roch es im Bad wie in einem Boxclub oder in der Männertoilette an einer Pferderennbahn. Hätte ich mich nicht irgendwie gezwungen gefühlt, im Haus zu bleiben, wäre ich trotz Bademantels für eine kurze Runde um den Block
Weitere Kostenlose Bücher