Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
Vom Netzwerk:
bleibt ruhig, bleibt an Ort und Stelle, woran sie sich etwa fünf Sekunden hielten, bis die Kirchenbänke heftig schwankten und die in Blei gefassten Fenster klapperten wie ein Karren, der über Pflastersteine fährt. Der zweite Erdstoß warf sie von ihren Plätzen, und alle stürmten hinaus auf die Straße, mit dem Priester, der die Herde in die Sicherheit geleitete, indem er jedes einzelne seiner Schäfchen vorantrieb. Dann ein lautes Malmen, die Ziegelbauten rieben aneinander, Glas und Steine fielen, und die Erde grollte und knurrte. Die Mauern neigten sich und brachen wie Baumwipfel im Sturm, und die Fenster sprangen heraus wie Knallkörper. Selbst als das Wackeln nachließ, läuteten oben die Glocken noch immer ihre Akkorde, bis der dritte Stoß für weitere sechs Sekunden alles herumschleuderte, und dann war es vorbei.
    Flo und die Kinder beobachteten in sprachlosem Entsetzen, wie das Kreuz auf dem Kirchturm nach links schwankte und kurz vor dem Kippen innehielt. Wenige Blocks weiter krochen Jamie und Eben mit ihren Kumpanen, den Spielern, Trinkern und Huren aus einer der Höllen, und als Draufgabe blinkte an diesem Morgen alles im hellen Sonnenlicht, und der Staub wirbelte auf wie Fledermäuse aus einer Höhle. An der Ecke Seventh/Howard Street hatte sich die Erde aufgetan und einen Abwasserkanal freigelegt. Gegenüber, wo ein unbebautes Grundstück gewesen war, befand sich nun ein Tümpel, und in ihrem Kartenspiel- und Alkoholrausch beobachteten sie, wie eine Ente darüber kreiste und in schwerer Not quakend darin landete. An manchen Straßenecken rauschten Geysire in die Luft, und hier und da flammten zwischen zerstörten und eingestürzten Häusern Feuer auf. Oben im Oktogonhaus hatte die arme Rebecca gerade ein Bad genommen und musste, nur mit einem Bademantel bekleidet, auf die Straßen rennen, als die Wände hin und her schwankten und sie unter sich zu begraben drohten. Sie war nicht die Einzige, die so nach draußen stürzte. Andere tauchten mit kaum mehr als einem Betttuch auf, und es offenbarte sich, womit der Normalmensch an einem Sonntagmorgen beschäftigt war.
    Das war der Anfang vom Ende für Rebecca und Eben, denn sie wollte keinesfalls länger in San Francisco mit seinem Rütteln und Schütteln bleiben, und er wollte nicht fern von seinem Bruder leben. Zum letzten Mal wurde sie gesehen, als sie in den Zug nach Baltimore stieg, wo ihre Familie wohnte. Was das Oktogonhaus anging, so waren seine Innenwände schlimm beschädigt, die Fenster in Scherben und jedes Zimmer mit Putz von den Decken übersät. Von allen acht Wänden waren Gemälde zu Boden gefallen oder sie hatten sich so gedreht, dass sie zur Wand schauten, und jedes Stück Glas oder Porzellan auf den Simsen und in den Schränken war angestoßen oder zerbrochen. Ein Spalt von der Größe eines Männerarms zeigte sich in der nordwestlichen Ecke unter dem Dach, durch den Luft und Staub hineinströmten, doch das Haus hatte im Gegensatz zu vielen anderen überlebt. Seine Bausubstanz hatte sich als stabil erwiesen, auch wenn kleinere Schäden zu verzeichnen waren.
    Nicht einer von ihnen war ernsthaft verletzt, nur John C. hatte in der Kirche eine Beule am Schädel davongetragen, aber die machte ihn nicht dümmer, als er schon war. Nebst ihrem Vermögen ein Kind zu verlieren oder ihr Haus wäre ein doppelter Schlag gewesen, und sie war sich nicht sicher, ob sie eines von beiden überstanden hätte, obwohl es rückblickend vielleicht besser gewesen wäre, ganz von vorne anzufangen und irgendwo anders hinzugehen. Die Erdstöße brachten Jamie ins Wanken. Er wanderte in dieser Sonntagnacht benommen nach Hause, als wäre die ganze Welt über ihm zusammengestürzt.
    Nachdem die Bruchstücke beiseitegeräumt, die Fenster ersetzt und ein Großteil der Risse zugegipst waren, seufzte Jams über den Stand der Dinge und ging zu Bett, wo er vier Tage lang blieb. Er äußerte keine Klagen, außer dass er sehr erschöpft sei; mühsam stand er um elf Uhr morgens und um sieben Uhr abends auf, um etwas zu essen und natürlich um zum Klo zu gehen, ansonsten schlief er wie ein Neugeborenes. Sein Bruder konnte ihn weder mit einer Partie Monte oder Pharao locken noch mit der Aussicht auf eine Nacht in den Höllen. Und Flo schlief auf den Couchen unten im Salon, damit sie rascher ins Freie käme, sollte die Erde erneut beben. Sie ließ ihren Mann allein. Am vierten Tag hüpften die Zwillinge, die es nicht gewöhnt waren, ihren Vater im Bett liegen zu sehen, auf der

Weitere Kostenlose Bücher