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Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition)

Titel: Sommernachtsfrauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Donohue
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hinausgegangen, um frische Luft zu schnappen. »Ich war nicht immer so«, sagte sie und nickte entschuldigend, dass sie in Gegenwart des Kindes geraucht hatte, zu Alice. »Ganz nervös und so.« Sie trommelte mit den Fingern in einem Rhythmus auf das Waschbecken, der an die musikalischen Fiorituren eines Klavierspielers erinnerte. Mein Bruder hatte eine ähnliche nervöse Angewohnheit. Nach zehn Jahren Klarinettenstunden griff er gedankenverloren nach einem Bleistift und spielte darauf eine Melodie, die er nur in seinem Kopf hörte. Seltsam, woran man sich erinnert. Ich hatte seit ewigen Zeiten nicht mehr an die Klarinette gedacht, obwohl sie die tägliche Musik meiner Jugend war. Mein Bruder, der sie nur quälend langsam erlernte, und dann seine plötzliche Meisterschaft, und wie er das Tempo fast aller Lieder abänderte, um es neu festzulegen: eine melancholische Weihnachtsmelodie, ein synkopierter irische Reel. Inmitten dieses frühmorgendlichen Chaos konnte ich ihn beinahe wieder hören.
    Nach drei Monaten kehrten Eben und Jamie zurück und brachten nicht viel mit außer Staub, der sich in ihren Hüten, Kleidern, Reisetaschen und Stiefeln gesammelt hatte, ein alkalischer Silt, der sich sogar in die Krähenfüße um die Augen setzte und in die verborgenen Ritzen und Falten des Mannes, die nur die Frau kennt. Noch neun Monate nach ihrer Heimkehr fegte das Dienstmädchen Silberstaub aus den Ecken. Für die Kinder brachte Jamie von Indianern gefertigte Schmuckstücke mit, Sporen und Gürtelschnallen für die Jungen und Kämme und Spiegel für die Mädchen. Sein Geschenk für Flo war, elegant in einer Mahagonischatulle, ein Klumpen rohes Silbererz, blauschwarz wie die Nacht und schwer in der Hand. »Das hier wird unser Geld verdoppeln«, sagte Jamie. »Der Boden ist voll davon. Diese armen Blogtrotters, diese armseligen Iren, die die Comstock-Ader entdeckten, wussten nichts über Silber. Vier Iren gruben nach Gold, und dieses schwarze Zeug verstopfte ihre Wippen, und es war reiner Zufall, dass sie sich die Mühe machten zu fragen, ob es von irgendeinem Nutzen sei. McLaughlin machte Kasse im Wert von dreitausendfünfhundert Dollar, die er prompt verlor, und Comstock selbst tauschte einen alten blinden Gaul und eine Flasche Whiskey gegen einen Zehntelanteil, der zuvor dem Iren, Old Virginny genannt, gehörte. Gib mir einen Iren, um jeden Tag im Loch zu graben, aber sogar ein Chinese hätte genug Grips zu fragen, was drin ist.« Er griff nach dem Silbersulfidklumpen und tat so, als rauchte er ihn wie eine Zigarre.
    Etwas an seiner Stimmung oder seinem Verhalten beunruhigte Flo an jenem Vormittag, und sosehr sie sich auch bemühte, eine dunkle Vorahnung, die mit der Rückkehr ihres Mannes aus den Silberhügeln von Nevada zu tun hatte, konnte sie nicht völlig abschütteln. Sie hätte ihrer inneren Stimme vertrauen sollen. Als sie und Jamie damals von zu Hause gen Westen aufgebrochen waren, war sie noch ein junges Mädchen, frisch verheiratet, und wusste es nicht besser. Doch jetzt, bei seinem neuesten Projekt, schien James so anmaßend sicher, dass alles sich ebenso gut fügen würde wie ’49, aber im Unterschied zu damals war sie nun eine erwachsene Frau und sechsfache Mutter, und sein Optimismus ging ihrem gesunden Menschenverstand auf die Nerven. »Wir sind keine Kinder mehr«, sagte sie. »Gehst du wieder unter die Erde? Oder schickst du zumindest deinen Bruder hin? Damit du aus erster Hand siehst, welche Arbeit notwendig ist, dieses Erz zu finden?«
    Er ließ die Silberzigarre zurück in die Schatulle fallen und sagte kalt: »Wir waren unter der Erde und haben es gesehen, Flo, im Höllenschacht nur mit einer Kerze. Das Loch, mit Holz verschalt und mit Balken wie ein Schiffsrumpf, und jede Minute die Gefahr des Einsturzes, und der ganze Berg landet auf dir. Ich war da, ich habe es gesehen. Hatte ich damals nicht auch recht? Und bin ich nicht derjenige, der all das für uns verdient hat?« Er zeigte auf die Möbel. »Glaubst du nicht an mich?«
    »Das hat mit Glauben nichts zu tun, sondern mit Kapital und Risiko.«
    »Wir waren fast drei Monate dort, Frau. Ich glaube, ich finde mich zurecht mit einer Silbermine und erkenne eine gute Investition, wenn ich sie sehe.« Eines der Kinder fing in einem anderen Zimmer an zu weinen, und er sah sie schräg an. »Musst du dich nicht um dein Baby kümmern?«
    »Das Mädchen kann nach ihr sehen, Jamie. Du hast hier einen ernsten Vorschlag gemacht, und ich muss ihn bis zu Ende

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