Sommernachtszauber (German Edition)
spielen, ja?« Er packte das Spielbrett und schüttete die Buchstaben in den grünen Filzsack. »Acht Buchstaben jeder. Du kannst zuerst legen, okay?« Er nahm sich selbst seine Buchstaben und musterte sie konzentriert.
»Ach, Michi …«
»Was?« Er sah auf. Für ihn war es nach seinem Nickerchen scheinbar vollkommen normal, sonntagmorgens um eins noch Scrabble zu spielen. Caroline fühlte sich wie erschlagen. Nicht nur hatte sie den Rausch der intensiven Arbeit und Freude mit Johannes hinter sich, sondern auch die Verwandlung ihrer Mutter. Mit beidem musste sie erst mal klarkommen. Sie drückte Michi kurz an sich.
»Morgen, ja? Ich verspreche dir, ich spiele morgen Abend mit dir, gleich wenn ich aus dem Bimah komme.«
Er schob sie kurz und grob weg. »Und wann wird das sein? So gegen Mitternacht, wie immer?«
»Nein, eher«, versprach sie, wenn auch etwas halbherzig. Johannes, sie wollte bei Johannes sein! Jede freie Minute und mit ihm Welten, Jahrzehnte, Leben und Tod mit nichts als ihren Gefühlen überbrücken: Gab es etwas Schöneres?
Michi sah sie kalt an. »Also gut. Aber ich lege schon mal, ja?«
Er nahm seine Buchstaben und begann am Stern mit einem großen E-G-O-I-S-T.
»Bis morgen Nacht dann, Caro. Ich stell mir den Wecker.«
Er schnappte sich seine Schnuffeldecke und ging ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer. Die Tür schlug er so hart hinter sich zu, dass das Milchglas darin klirrte.
Caroline sah ihre Mutter hilflos an. Die schüttelte den Kopf.
»Mach dir nichts daraus. Acht mit Tendenz auf vierzehn, so sind die Kids heute. Wenn du es morgen nicht schaffst, spiele ich mit ihm. Versprochen. Du probst ja nicht bis in alle Ewigkeit, oder? Das packt er schon.«
Du probst ja nicht bis in alle Ewigkeit. Caroline wurde es bleischwer in ihrem Inneren. Nein. Aber Johannes war doch bis in alle Ewigkeit am Bimah , oder etwa nicht? Gab es eine Rettung für ihn? Konnte er seine Schuld sühnen – worin auch immer sie bestand? Dann war er frei … Ihr wurde kalt. Was bedeutete dieses Frei? Sie wagte es nicht, den Gedanken zu Ende zu denken. War frei – der Tod? Ihr Herz stockte. Wie und wann würde Johannes diese Freiheit erlangen? Eiskristalle nisteten in ihrem Herzen, das schwer schlug. Ein Leben ohne Johannes schien ihr nicht möglich. Es fehlte nicht viel, und sie wäre auf der Stelle umgedreht, um noch einmal zum Bimah zu laufen. Eine große, namenlose Unruhe machte sich in ihr breit. Sie wollte bei ihm sein, ihn halten, von ihm gehalten werden und fragen: Wirst du immer da sein? Für mich? Für uns?
Sie sah wieder auf das Scrabble -Spielbrett. E-G-O-I-S-T. Vielleicht verlangte sie von allen viel zu viel. Und am meisten von sich selbst.
Ihre Mutter streichelte ihr die Wange.
»Geh zu Bett. Du siehst erschöpft aus, meine Große.«
Caroline nickte widerstrebend. »Gute Nacht, Mama.«
»Und, Caroline?«
»Ja?« Sie drehte sich in der Tür noch einmal um.
» Ich glaube auch an dich , okay?«
Caroline konnte nur stumm nicken.
In ihrem Zimmer merkte sie, dass Ben ihr noch eine Nachricht geschickt hatte. Gute Nacht, Caroline. Ich träume von dir. Darf ich wenigstens das? Oder läufst du dann auch davon?
Sie schaltete das Telefon aus und war nur wenige Minuten später tief eingeschlafen.
Der nächste Morgen war ein strahlend schöner Sonntag. Caroline wachte früh auf, viel zu früh, wenn man bedachte, wie spät und erschöpft sie ins Bett gefallen war. Die Sonnenstrahlen zeichneten Bilder aus Licht und Schatten an ihre Zimmerwand. Eine ganze Weile lag sie nur so da und sah ihnen dabei zu.
Vielleicht konnte sie heute schon tagsüber ans
Bimah,
überlegte sie, und mit ihm zusammen auf dem Dach sitzen. Berlin bei Sonnenschein. Eine andere Stadt mit ganz anderen Lichtern.
Sie setzte sich auf und plötzlich fiel ihr Michi wieder ein.
Nein, das musste bis nach der Premiere und der Galavorstellung warten. Dann konnten sie und Johannes noch jede Menge Pläne schmieden.
Erst musste sie etwas anderes tun. Das war sie Michi schuldig. Und ihrem Vater auch. Denn zum ersten Mal nach seinem Tod begann ein neues Leben in ihrer Familie. Oder: Sie alle fanden in ein Leben zurück.
Sie stand auf, schlüpfte in ihre kurzen Armeeshorts, Ballerinas und eine gestreifte Bluse und machte im Bad Katzenwäsche. Die Haare flocht sie sich rund um den Kopf, so, wie ihr Vater es gerne gemocht hatte. Dann schlich sie in Michis Zimmer und rüttelte ihn an der Schulter.
»Michi? Michi! Wach auf. Wir gehen Papa
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