Sommernachtszauber (German Edition)
Oder war ihre Mutter einfach vor der Samstagabend- Fernsehshow eingeschlafen? Schwierig war das ja nicht.
Caroline unterdrückte ein Kichern. Sie fühlte sich wie berauscht. Also fasste sie sich ein Herz und öffnete die Wohnzimmertür. Der Fernseher war aus.
»Michi?«, fragte sie leise.
»Pst«, sagte ihre Mutter. Caroline sah sie erst jetzt: Sie saß vor dem Computer an dem kleinen Tisch in der anderen Ecke des Zimmers. Michi lag in seinem Spiderman-Pyjama neben ihr auf dem Sofa und schlief. Seine Wangen waren rot, sein Mund leicht geöffnet und er hielt seine total verfilzte Schnuffeldecke gegen die Brust gepresst.
Caroline sank das Herz. Sie hatte ihn in den letzten drei Wochen kaum gesehen. Wer holte ihn von der Schule ab? Wer machte ihm zu essen? Sah er nicht dünner aus als sonst und war unter seinen Fingernägeln nicht genug Schmutz, um die Stadtmauern von Jericho wieder aufzubauen? Nein. Er wirkte ganz okay.
»Er schläft schon lange«, sagte ihre Mutter. »Eigentlich wollte er auf dich warten. Ich hatte keine Zeit, mit ihm zu spielen. Da hat er gegen sich selbst Scrabble gespielt.«
Caroline warf einen Blick auf das Spielbrett. Sonst spielte sie oft samstagabends Scrabble mit ihm. Sie legte den Kopf schief, um auch diagonal lesen zu können: Rattenpenis, Megafurz und Kackedampf waren die Worte, mit denen er an diesem Abend am meisten Punkte gegen sich selbst abgezockt hatte. Sie unterdrückte ein Lächeln, ehe sie ernst wurde.
»Warum hattest du denn keine Zeit, mit ihm zu spielen?«, fragte sie ihre Mutter, die mit hängenden Schultern auf ihrem Stuhl sitzen geblieben war. Irgendwie hatte sie, seit Johannes sie vor zwei Wochen auseinandergepflückt und wieder zusammengesetzt hatte, weniger Verständnis für Selbstmitleid.
Aus jedem Unglück musste man sich an seinem eigenen Schopf herausziehen, oder? Das hatte er doch gemeint, als er sie Caroline Selbstmitleid Siebert genannt hatte? Warum gelang das nicht irgendwann auch ihrer Mutter?
Ihre Mutter zögerte kurz. Sie war aufgestanden und verdeckte Caroline den Blick auf den Bildschirm. »Ich … ich war beschäftigt.«
»Womit denn?« Caroline kam näher. Sie war bereit, ärgerlich zu werden. Ja, sie war viel am Bimah . Sie tat es, um eine großartige Schauspielerin zu werden. Aber sie tat es auch für ihre Mutter und für Michi. Konnte sie ihr denn da nicht den Rücken freihalten? Nur noch für diese Wochen, bis nach der Premiere alles in geregelten Bahnen lief? Musste der Kleine gegen sich selbst Scrabble spielen?
»Ich habe mich schlau gemacht. Online, meine ich«, sagte ihre Mutter da leise.
Caroline blieb der Mund offen stehen. Ihre Mutter war seit beinahe fünf Jahren permanent krankgeschrieben. Eigentlich seit dem Tod ihres Vaters. Als er unten im Hof aufgeschlagen war, war etwas in ihr zerbrochen. Ihre Krankheit saß an einem Ort, den die Ärzte nicht benennen konnten. Sie machte sie unfähig, mit der Welt umzugehen, Konflikte auszutragen und Entscheidungen zu treffen.
Seitdem hatte ihr Leben in dieser Wohnung stattgefunden. Fünffda Stock mitt Balkong, jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, jahrelang. Tabletten groß wie Jackenknöpfe halfen ihr durch die Tage, an denen selbst Bücher, Zeitschriften und auch das Fernsehen eine Bedrohung sein konnten. Und nun saß sie vor dem Internet?!
»Online?«, wiederholte Caroline schwach.
»Ja«, ihre Mutter lächelte. Es lag etwas wie Stolz darin, auch wenn er von der sehr schüchternen Art war.
»Was hast du dir denn angesehen?«, fragte Caroline leise.
»Schau mal selbst«, sagte ihre Mutter, so scheu, als töte eine Beschreibung ihren Gegenstand.
Caroline sank auf den Stuhl. Sie las zuerst den Namen der Webseite: www.selbstistdiefrau.de.
Hm. Nie gehört. Worum ging es hier?
So mache ich mich selbstständig – 10 schlaue Tipps & Tricks, war die Überschrift, die ihre Mutter gerade gelesen hatte. Caroline sah zum Drucker neben dem Computer, auf dessen Klappe an die zehn Seiten lagen, die er zuvor ausgespuckt hatte. Caroline biss sich auf die Lippen. Konnte das sein? Passierte das hier wirklich?
»Mama …«, begann sie zaghaft und sah auf. Ihre Mutter stand nah hinter ihr. Als hätte sie Angst, dass Caroline einfach aufstehen und weggehen würde. Unter ihren Augen waren dunkle Ringe und ihre Mundwinkel zuckten etwas. Aber sie war angezogen und hatte sich die Haare im Nacken zu einem losen Knoten gewickelt. Das bemerkte Caroline erst jetzt. Wie verletzlich sie wirkte!
»Lach nicht«, bat
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