Sommernachtszauber (German Edition)
los«, sagte sie dann. Eigentlich gefiel ihr die Idee.
Blumen umordnen.
»Aber unauffällig, okay?«
»Klar. Ich gehe nach rechts, du nach links.«
Michi schlich geduckt zwischen den größeren, imposanteren Gräbern durch, so wie er es im Fernsehen bei Geheimagenten gesehen haben musste.
Sie selbst streifte wie abgemacht in die andere Richtung und bediente sich sparsam und weit entfernt vom Grab ihres Vaters. Ein paar gelbe Rosen hier, ein kleiner Strauß Vergissmeinnicht dort und noch ein Topf Geranien da, wo schon fünf andere Töpfe standen.
Sie wanderte noch ein wenig weiter und schlenderte in Gedanken versunken zwischen den Gräbern hindurch, ehe sie stehen blieb und aufsah.
Wo war denn jetzt der Pfad, der sie zu Michi und dem Grab ihres Vaters zurückführte? Sie musterte die Namen auf den Grabsteinen, um einen Hinweis auf ihren Weg zu finden – und ließ mit einem kleinen Aufschrei die Blumen fallen.
Johannes Steiner
stand da in schweren roten Marmorstein gemeißelt.
Geb. 28. Januar 1914 – Gest. 17. Juni 1935.
Darunter las sie
Marika Steiner, geb. 15. August 1885 – Gest. 22. Juni 1965.
Über dem Grab hielt ein lebensgroßer Engel seine Flügel ausgebreitet, die Arme zum Gebet gefaltet, eine Träne rann seine steinerne Wange hinab. Auf der ebenfalls rotmarmornen Platte lagen einige verwelkte Blumen. Wenn Marika Steiner auch nicht gerade Marlene gewesen war, so schien sie doch ihre Fans gehabt zu haben. Die Farbe der Grabplatte erinnerte Caroline an geronnenes Blut.
Sie keuchte auf und ging in die Knie. Bunte Flecken tanzten vor ihren Augen und ihr wurde schwindelig. Nicht mehr hinsehen. Nicht mehr hinsehen! Und doch wurde ihr Blick wie von einem Magneten von dem roten Marmor angezogen. Sie konnte nicht anders. Das Bild brannte sich in ihre Netzhaut. Es schmerzte, als seien ihre Augen zu trocken. Und das, obwohl wieder Tränen in ihr aufstiegen. Johannes!
»Caro! Was ist denn? Ist was passiert?« Michi kam außer Atem bei ihr an, seine beiden Arme voller Blumen und auch noch ein Grablicht. »Oh Mann, alles in Ordnung?« Er warf die Blumen hin und nahm ihr Gesicht in seine Hände. »Bist du hingefallen? Hast du dir wehgetan? Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen!«
Gerade nicht,
dachte sie.
Caroline schüttelte den Kopf und zwang die Tränen zurück. »Schon wieder gut«, sagte sie dann und sah wieder zum Grab. Es gab keinen Zweifel: Das war sein Grab. Er war einundzwanzig Jahre alt gewesen, als er starb, und war es noch immer, wie schon seit Jahrzehnten. Heute, wo er im
Bimah
wieder ungeduldig auf sie wartete. All das Gerede über den Tod und wie die Menschen bei ihnen blieben … so ein Quatsch. Sie starben und dann waren sie fort, und man konnte sich nur fragen, ob man ihnen genug Liebe im Leben bewiesen hatte, dachte sie bitter, als sie aufstand und Erde und Kies von ihren nackten Knien klopfte. Die Vergänglichkeit trägt ihren Namen nicht umsonst. Natürlich gab es ein Grab mit seinem Namen darauf!
Die Wolkendecke riss auf und es wurde heller. Sonnenflecken tanzten auf dem Kies.
Der Marmor von Johannes’ Grabstein nahm plötzlich die Farbe von satter roter Erde an. Mit Johannes begraben lag seine Mutter, die auch Schauspielerin gewesen war. Wo lag diese Judith? Das wusste der Teufel, dachte Caroline traurig.
»Sollen wir gehen?«, fragte Michi leise. Seine Hand schmuggelte sich in ihre.
Caroline nickte. Sie raffte die Blumen zusammen und sah noch einmal zu dem Grab. Sie sah dem Engel in sein friedliches Gesicht. Ja, er weinte. Aber um seine Mundwinkel spielte ein kleines, geheimnisvolles Lächeln.
Du und ich, Caroline, wir teilen ein Geheimnis. Du weißt, was ich weiß. Nicht weitersagen!
Nein, Tod, dachte Caroline plötzlich trotzig. Auch Vergänglichkeit kann vergehen. Nicht
alle
sind dann einfach weg und lassen uns fragend zurück, ob man ihnen genug Liebe gegeben hat. Manche bleiben. Einer besonders! Und diesem einen wollte sie jeden Tag Liebe geben, solange es nur ging.
Johannes.
Sie war bei ihm wie von einer guten Macht geborgen.
»Komm, Michi. Wir bauen einen Garten auf Papas Grab. Einen Garten wie eine Geschichte. Mit Einleitung, Hauptteil und Schluss! Das hätte ihm gefallen.«
»Was ist der Schluss?«, fragte Michi, als er hinter ihr herhastete.
»Die Vergissmeinnicht, natürlich«, entschied Caroline.
Caroline rührte nichts von dem Gebäck an, das Michi und sie zum zweiten Frühstück mitgebracht hatten. Als sie nach der dritten Tasse Kaffee aufstand
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