Sommerprickeln
noch.
Annajane lächelte schwach und ließ die Plastikhülle wieder fallen. Alte Wunden. Sie verblassten, aber verschwanden nie so ganz.
Es war sinnlos, jetzt darüber nachzudenken, sagte sie sich und bahnte sich den Weg zum Schreibtisch. Sie setzte sich an den Computer und machte sich an die Arbeit.
Zwei Stunden später lehnte sie sich zurück und legte eine kleine Pause ein. Die Quartalszahlen, die sie gerade durchgeschaut hatte, waren deprimierend. Alle Vertriebswege hatten Einbußen hinnehmen müssen.
Annajanes Abteilung traf gerade die Vorbereitungen für eine wichtige Sommeraktion in den Supermarktketten der Region. Die Werbeagentur hatte Skizzen für die Supermarkt-Plakate entworfen, doch Annajane fand sie langweilig und, schlimmer noch, schlichtweg hässlich.
Sie seufzte und massierte sich mit den Fingerspitzen die Stirn. Davis hatte die Skizzen bereits mit einem begeisterten Super! genehmigt, das er an den Rand gekritzelt hatte. Annajane war nur stellvertretende Chefin im Marketing. Das endgültige Okay lag bei Davis – und in gewissem Maße auch bei Mason. Sie war schon mit einem Fuß raus aus der Firma, warum also sollte sie sich noch darum kümmern?
Aber sie konnte einfach nicht anders. Sie fand die Vorstellung unerträglich, dass die Läden der Region mit dem kitschigen Pappbild des neuen Werbegesichts von Quixie gepflastert wurden: ein mittelmäßiger Rennfahrer mit der Quixie-Flasche in der Hand. Die Farben waren grell, die Druckqualität ließ zu wünschen übrig, und der Fahrer, Donnell Boggs, den Annajane bei seinem ersten und einzigen Aufenthalt in Passcoe kennengelernt hatte, war ein ungepflegter Säufer, der sofort Davis’ bester Kumpel geworden war.
Annajane schrieb ein paar Gedanken auf Post-it-Zettel und klebte sie an die Skizzen, dann machte sie sich an ihre E-Mails.
Eine Frauenstimme hallte durch den Flur. Überrascht blickte Annajane auf.
Der leicht nasale Akzent von Celia Wakefield war nur schwer zu überhören.
»Nein«, sagte sie. »Nein, wir haben noch kein neues Datum festgelegt. Das war doch erst gestern Abend, Herrgott nochmal!«
Annajane spürte, wie sich ihre Nackenhaare aufstellten. Ihre Bürotür war geschlossen, dennoch machte sie sich auf ihrem Stuhl klein, nur für den Fall.
Celias Absätze klackerten über den Linoleumboden im Flur. Sie kam näher, offenbar unterhielt sie sich mit jemandem auf dem Handy. »Nein, Jerry«, sagte sie scharf. »Du verstehst nicht, wie so was hier läuft. Für diese Leute ist das nicht einfach ein Geschäft. Wir müssen geschickter vorgehen. Das ist wie ein Balztanz, verstehst du?«
Diese Leute? Meinte sie damit die Familie Bayless? Und ging es um die Firma?
Celia wollte etwas sagen, hielt aber inne, lauschte wahrscheinlich dem unsichtbaren Jerry am anderen Ende der Leitung.
»Hm, eigentlich glaube ich, dass der jüngere Bruder zugänglicher ist. Er ist das mittlere Kind, du weißt ja, wie die sind. Hungrig nach Anerkennung. Ich habe das Gefühl, dass er Interesse daran hat, seine Optionen abzuwägen.«
Annajane setzte sich auf. Davis? Wog seine Optionen ab? Was war hier überhaupt los?
Celia hatte Annajanes Tür passiert, ihre Stimme wurde wieder leiser. Annajane stand auf und drückte das Ohr an die Tür, obwohl sie sich deswegen schämte.
»Also, die Schwester ist auf jeden Fall nicht die Präsidentin meines Fanclubs«, sagte Celia.
Da hast du recht , dachte Annajane.
»Hm, nein, sie arbeitet hier nicht, sie hat Kinder und so weiter. Aber ja, ich nehme an, dass sie an der Firma beteiligt ist. Nein, das ist leider ein bisschen kompliziert, sie ist nämlich die beste Freundin von Masons Ex.«
Annajane fuhr zusammen.
Celia lachte über etwas, das ihr Gesprächspartner sagte. »Du hast ja keine Ahnung«, entgegnete sie.
Die Schritte verklangen, Celia war nicht mehr zu verstehen.
Was führt sie bloß im Schilde? , fragte sich Annajane.
Sie setzte sich wieder an den Computer und versuchte, sich auf das Memo zu konzentrieren, das sie für Tracey schreiben wollte, doch ihre Gedanken kehrten immer wieder zu dem gerade belauschten Gespräch zurück.
Zehn Monate. So lange hatte Celia Wakefield gebraucht, um ihre Klauen zuerst in Quixie und dann in Mason Bayless zu schlagen. Nun, da Annajane Celia kannte, wunderte sie sich nur, dass es nicht schneller gegangen war.
Wie jeder Bürger von Passcoe und jeder Mitarbeiter der Firma war Annajane nach ihrer ersten Begegnung mit Celia regelrecht begeistert gewesen.
Schon Monate vorher
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