Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Aufgrund ihrer Größe hielten sie sich mitten in Nebulae Hall auf. Die dicken Nebelschwaden verbargen ihre massigen Körper, doch das unheilvolle Erzittern der Höhle erinnerte Arrow ständig an ihre Anwesenheit. Aber auch wenn alles ruhig wäre, würde sie nicht verdrängen können, dass sie da waren.
Sie hatte Elon nichts von der Begegnung mit ihrem Geisterwesen erzählt, denn sie rechnete ohnehin pausenlos damit, dass sie sich bald auf den Weg machen würde, um ihr fehlendes Stück zu treffen. Die Perchten könnten sie vielleicht davon abhalten, aber wäre das richtig? Solange Arrow hinter den Nyriden noch eine Gefahr für die anderen vermutete wohl schon. Was aber, wenn diese Angst vollkommen unbegründet war? Immerhin war es nicht auszuschließen, dass die Geisterwesen oder zumindest einige von ihnen die gleichen, guten Absichten verfolgten. Doch solange man nicht davon ausgehen konnte, dass das alle betraf, war höchste Vorsicht geboten, denn die Bewohner des Schlosses wären ihnen schutzlos ausgeliefert. Weder verfügten sie über besondere Fähigkeiten, noch kannten sie sich entsprechend aus, um im Falle einer Gefahr fliehen zu können. Im Grunde waren sie so verwundbar wie Menschen.
Als sie den Boden der Lichtung absuchte, wunderte es sie nicht, dass sich nichts verändert hatte. Vermutlich war es ohnehin zu spät für die Samen und sie faulten bereits.
Bei ihrer Rückkehr lief alles so ab wie sonst auch. Erwartungsvolle Blicke ruhten auf ihr. Doch anstatt ihnen mit einem Kopfschütteln zu verstehen zu geben, dass nichts Nennenswertes geschehen war, wich sie ihnen aus und marschierte zielstrebig in ihr Zimmer.
Mein geliebter Sohn,
mittlerweile verbringe ich schon so viele Wochen in Nebulae Hall, dass ich aufgehört habe, sie zu zählen. Doch sie kommen mir ohnehin schon wie Jahre vor, und ich weiß noch nicht einmal, ob der Frühling bereits Einzug gehalten hat. Nach wie vor vermisse ich dich und deinen Vater, den ich noch immer nicht wieder gesehen habe. Es fehlt mir, mit ihm zu reden oder ihn in meiner Nähe zu wissen. Er macht die Dinge so viel einfacher. Wäre seine Aufgabe auch nur weniger wichtig als die meine, so würde ich keine Sekunde zögern, ihn zu mir zu holen. Doch ganz gleich, wie lange ich schon von ihm getrennt sein mag, eines kann ich dir versichern. Er liebt und vermisst dich ebenso sehr wie ich es tue.
Ich hoffe, du bist es noch nicht leid, in jedem meiner Briefe immer wieder diese Worte zu lesen. Würde ich dich bei mir wissen, so würde ich es dir jeden Tag sagen. Manch einer könnte eine banale Alltagsgewohnheit dahinter vermuten, doch für mich wäre es das nicht. Jede Mutter, die ihrem Spross an jedem Morgen, an dem er erwacht, und an jedem Abend, an dem sie ihn zu Bett bringt, ihre Liebe versichern kann, besitzt ein Privileg, um das ich sie in höchstem Maße beneide. Dabei tut sie nicht mehr oder weniger als ich. Denn sie ist bei allem stets darauf bedacht, ihrem Kind eine großartige Zukunft zu ermöglichen. Zwar tut sie es auf eine andere Art und Weise, doch ihre Absichten und Wünsche sind die gleichen wie die meinen.
Hier ist die Lage unverändert. Die Nyriden stehen mir immer noch misstrauisch gegenüber. Pausenlos denke ich darüber nach, wie ich ihr Vertrauen oder wenigstens ihre Aufmerksamkeit gewinnen kann, doch die Ideen kommen nur spärlich. An manchen Tagen scheint es so, als wäre die Aufgabe, die ich zu erfüllen gedenke, verloren. Dann verzweifle ich beinahe an meiner Ratlosigkeit. Doch auf einmal, ganz plötzlich, werde ich von einem neuen Gedanken überrascht, der mich wieder Hoffnung schöpfen lässt. Es ist somit nicht wirklich so aussichtslos, wie es hin und wieder scheint. Offenbar muss ich nur lernen, mich in Geduld zu üben. Eine schwierige Disziplin angesichts dessen, was sich noch immer an der Oberfläche abspielt. Doch ich habe hier Freunde, die mir helfen, die schwere Zeit zu meistern. Aber die meiste Kraft schöpfe ich noch immer aus meinen Gedanken an dich.
In Liebe deine Mutter
Lächelnd umfasste sie das Schlafende Amulett und vernahm dabei das Lachen ihres Sohnes. Angesichts der Trennung von ihm war es das wunderbarste Geschenk, das Anne ihr je hätte machen können. Dabei hatte es anfangs einem ganz anderen Zweck gedient.
„Hast du auch eine Familie, Grint?“, fragte sie das Weidemännchen, als sie ihm das Buch übergab.
Sein Schulterzucken signalisierte ihr, dass er es nicht wusste, und sie fragte sich, wie es sich wohl anfühlte, so
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