Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
Innerlich bin ich so zerrissen wie schon lange nicht mehr, denn er ruft wieder nach mir. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Der Gedanke an meine Kinder macht mich so glücklich, wie ich es lange nicht einmal mehr zu hoffen gewagt habe. Und seit der Geburt meiner Tochter kam es mir vor, als wäre er verschwunden. Doch ganz unerwartet ist er mir näher als je zuvor und er schickt mir Gedanken, dunkle Gedanken. Er sieht keinen Ausweg mehr aus seinem Leid und fleht mich immer wieder an, ihm den Wächter zu bringen und der Sache ein Ende zu bereiten. Sein Wille ist nicht der meine, aber was soll ich tun? Er ist mir nicht weniger nahe, als es meine Arrow ist. Er ist ein Teil von mir. Und heißt es nicht, dass man, um andere zu lieben vor allem sich selbst lieben muss?
Denkst du, es besteht die Möglichkeit, mich und ihn für immer voneinander zu trennen? Denn ich kann ihn nicht umstimmen. In seinen Augen sind wir längst verloren.
Melchior
Lieber Melchior,
wenn ich deine Zeilen lese, wird mir ganz bang. Du darfst ihn nicht die Macht übernehmen lassen. Deine Kinder brauchen dich! Zwar sind sie stark und voller Entschlossenheit, doch vor allem die junge Seele deiner Tochter ist noch sehr sensibel, so dass ich fürchte, sie könnte deinen Verlust nie verwinden. Dein Ende wäre ihr Ende, denn springst du in den Abgrund, ziehst du sie mit hinein. Ihr Herz hängt an deinem und ist nicht fähig, allein zu schlagen.
Komm bald zu uns nach Elm Tree. Entfliehe deinen trüben Gedanken. Möglicherweise unterbrichst du die Verbindung zwischen ihm und dir, wenn du die andere Seite für eine Weile verlässt.
Anne
Ein leises Klappern ließ Arrow aufschrecken. Wieder einmal war es mitten in der Nacht. Im Schloss herrschte Stille und die Bewohner schliefen. Einer von ihnen schien jedoch endlich nach all den Wochen erwacht zu sein.
Mit verschlafenen Augen schaute sich das Weidemännchen um und freute sich über die Decke, die Arrow über seinen Körper gelegt hatte. Es schenkte ihr ein müdes Lächeln und obgleich sie über den Briefwechsel, der zwischen Anne und ihrem Vater stattgefunden hatte, vollkommen aufgewühlt war, erwiderte sie es. Seine treuen Augen wirkten beruhigend auf sie und es schien, als wäre er genau zur rechten Zeit erwacht.
Der Zug der Nyriden flog am Fenster vorüber und ließ das Männchen zusammenzucken. Ganz offensichtlich fühlte es sich nicht wohl an diesem Ort, doch dann schaute es wieder zu Arrow und entspannte sich langsam. Sein Blick ruhte hoffnungsvoll auf ihr und sie empfand es als tröstend, einen so angenehmen Gesellschafter zu haben. Schlafen konnte sie allerdings nicht. Das Buch war beinahe ausgelesen und sie musste wissen, was zuletzt geschehen war.
Liebe Anne,
beunruhigende Nachrichten haben mich ereilt. Mein Kind und du, ihr seid dort nicht länger sicher. Es heißt, dass das Grab der Könige nicht länger schweigt und sich jemand auf den Weg gemacht hat, es zu öffnen.
Nun schelte ich mich einen Dummkopf, euch in ihrer Nähe in Sicherheit zu vermuten. Nie wäre mir in den Sinn gekommen, dass unsere Feinde zu solch drastischen Mitteln greifen. Sie wollen unser Volk vernichten, koste es, was es wolle. Dafür setzen sie sogar ihr eigenes Leben und das derer, die sie lieben, aufs Spiel.
Ihr müsst schnellstmöglich von dort verschwinden. Dewayne und ich holen euch am Weihnachtsabend.
Der Himmel weiß, es wird meiner Tochter das Herz brechen, sie so einfach aus ihrer gewohnten Umgebung zu reißen, doch wir haben keine andere Wahl. Bereite ein Fest für sie und ihre Freunde vor. Es soll unvergesslich werden, so dass sie aus der Erinnerung genug Kraft schöpfen wird, um sich in der Kälte zurechtzufinden.
Sollte es allerdings zu spät sein, musst du sie an einen sicheren Ort bringen. Erinnerst du dich noch an den Tag, den wir gemeinsam mit den Kindern bei den Flüsternden Bächen verbracht haben? Wenn sie mir zuvorkommen, werde ich dort nach euch suchen und nachkommen, so schnell ich kann.
Bereite alles für die Reise vor und verliere keine Zeit. Aber vor allem darfst du dir von niemandem anmerken lassen, was vor sich geht. Wenn es wahr ist, was sich erzählt wird, ist das schlimmste Unheil eingetreten. Von jetzt an dürfen wir niemandem mehr trauen.
Gib meiner Tochter einen Kuss von mir und sage ihr, dass ich sie liebe.
Melchior
Entrüstet schlug Arrow das Buch zu. Ihr Vater sprach vom Grab der Könige und zweifellos waren damit die Túatha Dé Danann gemeint. Doch viel bedeutender
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