Sommerstueck
veranstalten und ihre Petroleumlampen zu zerschlagen. Oder wie oft mußte Antonis sich anhören, wenn er in den Dörfern nach Geschirr, altem Gerät fragte, das hätten sie alles vor ein, zwei Jahren vernichtet. Wie alles Neue diesen Landstrich angeblich um Jahrzehnte später als anderswo berührte, so war der neue Schönheitsbegriff auf den Dörfern erst vor kurzem eingetroffen, hatte allerdings sehr schnell Fuß gefaßt und sich breitgemacht; da die karge Schönheit der alten Gegenstände an Armut gebunden war, gingen sie gleich über Bord, als Schrankwände, Frisiertoiletten und Eßservice ihren Einzug hielten und Platz brauchten, und nun kaufe der StaatlicheKunsthandel die Restbestände auf, um sie gegen harte Währung an den Westen zu verscheuern. Der unwiederbringliche Verlust dieser Dinge, die uns noch vor Jahresfrist nichts bedeutet hatten, ging uns auf einmal nahe bis zur Empörung.
Die »kleinen Städte« liegen, in Abständen von zwölf, fünfzehn Kilometern, aufgereiht an der Fernverkehrsstraße 104, die in gutem Zustand gehalten ist, da sie weiter nach Lübeck führt. Wie fremde, verirrte und zu groß geratene Fische bewegen sich die westdeutschen Straßenkreuzer unnatürlich langsam und vorsichtig durch die engen Straßen. Jan stellte das Auto in Gadebusch auf den kleinen Platz vor der Kirche, dann gingen sie auf dem alten, sich neigenden Pflasterweg um die Kirche herum, besahen das schöne Portal, das gewaltige Rundfenster, das für alle Zeiten gefügte Mauerwerk. Der Blick über das ineinandergeschachtelte Dächerwerk der Altstadt, auf die brüchigen Fachwerkhäuschen, die man Stück für Stück, auch in ganzen Büscheln, an ihren skurrilen Fernsehantennen aus dem Erdreich hätte ziehen können, versetzte ihnen zum erstenmal den Zeit-Schock. Luisa reagierte mit Schrecken darauf, mit heftigen und hastigen Wünschen, eigentlich Beschwörungen: Es soll nicht... Dies alles sollte nicht vorüber, für immer verloren sein. Ellen hatte das Gefühl, als Akteur eines in normalem Tempo ablaufenden Films in eine Rückblende geraten zu sein, die aus undurchschaubaren Gründen in Zeitlupe lief, während ihr das Drehbuch zugeteilt hatte, sich immer weiter zu schnell zu bewegen, so daß sie, wenn auch nur für Sekunden, den leichten Schwindel der Asynchronität spürte und, wie spielerisch, nach Jans Armgriff. Stand nicht da unten, irgendwo in dem Gassengewirr, ein Kind, das sie genau zu kennen meinte, und sah zu ihr herauf? Auch Jan war es zumute, als könnte er ein Abbild dieses mittelalterlichen Stadtplans in sich selber finden, als liefen ganze Schwärme seiner Wünsche und Gedanken immer noch diese anachronistischen Wege.
In den Schaufenstern der Hauptstraße verstaubte Pullover und Unterwäsche der vorvorigen Saison, junge Frauen kauften Tischdecken und Kissenplatten zum Aussticken, das Bild der jungen Frauen dieses Städtchens drängte sich auf, die abends alle vor dem Fernseher saßen und an der gleichen Kissenplatte stickten, nach der gleichen Vorlage, mit den gleichen Farben. Allerhand Kästchen, mysteriöses Gerät und Holzschnitzwerk zur Verschönerung des Heims wurden angeboten, auch handgemalte, holz- oder goldgerahmte Landschaften. Aber die rohen Schinken im Fleischerladen waren echt, sie kauften jeder einen, der würde sie und ihre Gäste fast den ganzen Sommer über ernähren. Riesige Fleischpakete, zur Jugendweihe bestellt, ließen sich die Einheimischen über die Ladentische reichen. Was aber hatte der nagelneue, leider auch noch blau gekachelte Springbrunnen vor dem schönen alten Rathaus zu suchen. Es fand sich ein redseliger Mann auf einer Bank, der ihnen auf Platt erzählte, genau an der Stelle des Springbrunnens habe ein mächtiger Baum gestanden, den hätten sie wegen des neuen Brunnens herausgerissen, angeblich ohne die Einwohner zu fragen. – Was war das nur, daß sie einen Baum betrauerten, den sie nie gesehen hatten.
Jetzt zeig ich euch was, sagte Antonis. Er orientierte sich, klinkte eine alte Haustür auf: Sie standen in einemhalbdunklen, mit Fliesen ausgelegten Flur, der zur Hofseite hin ein Fenster hatte und geräumig genug war, eine Menge alter Möbel aufzunehmen, deren Gediegenheit sie überraschte. Drei reich geschnitzte Schränke und drei massive Truhen aus unterschiedlichem Holz, alle im besten Zustand, warteten laut Antonis auf den Tag, an dem ihr Besitzer, ein alter Herr, sterben und diese und viele andere in seiner Wohnung gehortete Schätze seinem Sohn hinterlassen
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