Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
Vom Netzwerk:
würde, es sei denn – aber daran war nicht zu denken, nicht heute abend –, auf irgendeine Weise würde sich doch wieder jenes Ferment in ihr sammeln, für das sie keinen Namen wußte, das aber unerläßlich war, um auch nur eine einzige Zeile aufs Papier zu bringen – Ellen wollte nichts mehr hören. Wozu waren sie schließlich hierhergekommen, doch gewiß nicht, um sich wieder in den alten Netzen zu verfangen und am Ende wieder in derselben Falle zu sitzen. Ganz unerwartet, wie das zu sein pflegt – nie stellen sich wesentliche Einsichten ein, wenn man sie erwartet –, konnte sie diese von ihr bisher gemiedenen Vergleiche – Netz, Falle – annehmen. Konnte die Ahnung zulassen, daß dahinter, darunter noch ganz andere Bilder auftauchen würden. Daß sie nur gesund werden könnte – gesund werden!, auch so ein Wort, das sich plötzlich einstellte; war sie denn krank? –, wenn sie die Abhängigkeit, in die sie geraten war – wodurch? wovon?; es würde sich zeigen –, von innen her auflösen konnte. Zeit, Zeit. Hatte sie die denn?
    Aus winzigen Tassen tranken sie den starken süßen türkischen Kaffee. Es wurde Mitternacht. Luisa brachte den Korb mit den kleinen Katzen, die sie in einer Mauerhöhle hinter dem Knechtskaten gefunden hatte, bewacht von Lucie, der schwarzweißen Mutterkatze. Die Frauen nahmen sie auf den Schoß, ließen sie Milch ausder flachen Hand lecken, verglichen sie miteinander, ihre Fellchen zeigten alle Abstufungen zwischen kohlschwarz mit weißem Lätzchen und schneeweiß mit schwarzen Pfoten. Drei davon werde er umbringen, verkündete Antonis, und Luisa fuhr zusammen, als könnte er seine Drohung ernst meinen. Irene glaubte zu verstehen, woher die Anziehungskraft kam, die Luisa auf Männer ausübte: Sie gab ihnen die Macht, sie zu erschrecken und sie dann zu trösten, nachdem sie die Gewalt, mit der sie geprahlt hatten, gar nicht hatten anwenden müssen. Merkten sie überhaupt, daß Luisa nicht in Gefahr war, sich jemandem ganz auszuliefern? Daß immer ein ungreifbarer Rest bleiben würde, der sich jedem Zugriff entzog? Reizte die Männer gerade das bis aufs Blut? War sie nicht zu beneiden? Sie lebte in jedem einzigen Augenblick, in einem Bereich, in dem die Blicke der Männer, gierig auf Erfolg und Besitz, sie nur scheinbar erreichten, in dem ihre Forderungen und Befehle nur eine Schein-Wirkung auf sie hatten. Wenn Antonis, dem eine Vorahnung davon manchmal das Gesicht überschattete, wirklich beginnen würde, daran zu leiden, sagte sich Irene, dann würde sein Zusammenleben mit Luisa anfangen. Dann würde sich zeigen, ob er es aushielt, mit der Gefahr zu leben, sie zu verlieren. So wie sie es aushalten mußte, neben Clemens zu gehen, seinen Schattenriß gegen den letzten Himmelsstreifen zu sehen, der nicht dunkel werden wollte, ihn unbeschwert mit Jan und Ellen reden zu hören und nicht zu wissen, was in der letzten Zelle seines Gehirns vorging. Er sagte, schon als Kind habe er sich mit den Sternen befaßt, alles, was er sich sein Leben lang gewünscht habe, werde sich jetzt erfüllen. Er blieb stehen, zeigte denanderen die Sternbilder. Als eine Sternschnuppe in großem Bogen fiel, sagte Irene zu Clemens: Ich weiß, was du dir gewünscht hast. Soll ichs sagen? – Laß doch, Ronny. – Du hast dir gewünscht, daß du hier lange allein sein könntest, stimmts? – Warum sagst du das. – Es stimmt doch. Oder stimmt es nicht. – Es stimmt nicht, und das weißt du auch.
    Alles lag offen, so mußte es sein. Niemand schien Lust darauf zu haben, die Schmerzpunkte der anderen mutwillig anzurühren. Ellen spürte wieder die Schwermut auf sich zukommen, die sie hier in den ersten Wochen abends überfiel. Dieser rote Mond. Diese undurchdringliche Stille. Paß auf, sagte Jan. Der Schwingrasen. Ellen setzte den Fuß auf den Rand des Schwingrasens, begann zu wippen, zuerst zaghaft, dann immer stärker. Hör auf! sagte Jan. Ellen tat noch einen Schritt, zog den anderen Fuß nach. Er trug. Der Rasen trug. Jetzt wippte sie mit dem ganzen Körper. Die Erde schwang, ein nie gekanntes Gefühl. – Hör auf! rief Jan. – Er trägt. Du, er trägt! rief Ellen. – Mach keinen Unsinn! Komm zurück. – Die Erde schwang, nur wenn sie Angst bekäme, würde die dünne elastische Haut reißen. – Wem hast du was beweisen wollen, sagte Jan böse beim Weitergehen. Ellen schwieg. Irene berührte ihre Hand. Sie hätte Lust, auch auf den Schwingrasen zu gehen, flüsterte sie.
    Von fern hörten sie ein

Weitere Kostenlose Bücher