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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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würde, der in Hamburg lebte. Nicht für Geld und gute Worte rückte der Besitzer ein einziges Stück heraus. Sie sahen, wie Antonis litt beim Anblick der Herrlichkeiten, die für ihn unerreichbar blieben. Ach, Antonis.
    An der Kirche bot eine Frau mit grasgrünem Kopftuch Blumenzwiebeln an, sie kauften Lilienknollen, die sie in ihren Vorgarten setzten und die wirklich ein paar Jahre lang geblüht haben. Aber der Vormittag bescherte ihnen noch eine Szene. Am Parkplatz erwartete sie neben ihrem Auto ein kleiner, in Loden gekleideter Mann, der, als sie sich näherten, sofort anfing, sie wüst zu beschimpfen, weil sie mit ihrem Wagen angeblich zuviel Platz in der Parklücke einnahmen und der Kleine dadurch keinen Parkplatz gefunden hatte. Solchen Leuten, schrie er, müsse man das Autofahren verbieten. Jan faßte sich nur an den Kopf, stieg ein und fuhr rückwärts aus der Parklücke, alles unter den nicht versiegenden Beschimpfungen des Männchens. Luisa und Antonis lachten hinter seinem Rücken, offensichtlich waren sie Zeugen eines krankhaften Ausbruchs, aber genau das war es, was Ellen nicht mehr vertrug. Sie fühlte genußvoll die Wut in sich hochsteigen, sie trat dicht, ganz dicht an das Männchen heran, mühsam beherrscht sagtesie ihm, sehr deutlich und leise, er solle bitte augenblicklich den Mund halten, sonst geschehe ein Unglück. Tatsächlich klappte dem Mann der Mund zu, verblüfft starrte er sie an, Ellen kannte die Wirkung ihrer Methode, und doch war sie jedesmal wieder, auch bei Polizisten und Eisenbahnern, erstaunt, wie unfehlbar sie eintrat. Förmlich teilte sie jetzt dem Männchen im Lodenmantel mit, wenn er noch einmal ausfallend werde, so werde sie ihn verklagen. Die Antwort war Schweigen. Ihr Abgang war gut, Jan hielt mit offener Wagentür neben ihr, sie konnte in aller Ruhe einsteigen, die Tür zuschlagen und den Mann seinem hilflosen Zorn überlassen. Sie fuhren. Luisa sah Ellen betreten an, Antonis lobte sie, auch ein wenig verwundert, Jan schwieg. Er kannte den wirklichen Grund für solche Ausfälle, wußte, daß sie sich eigentlich nicht gegen diese kleinen Männer in Lodenmantel richteten und daß Ellen sich danach nicht zum besten fühlte. Aber es war ihr irgendwann, vor kurzem erst, klargeworden, daß sie sich nicht eine einzige Gängelung oder Beschimpfung mehr gefallen lassen konnte, die rechthaberischen kleinen Männer nahmen historische Dimensionen an, sie mußte ihnen entgegentreten und ihnen den Mund verbieten, basta. Schluß mit der Nachgiebigkeit. Schluß mit der Leisetreterei. Ersatzbefriedigung.
    Auf einmal bekam sie einen Lachkrampf, lachte, schrie vor Lachen, konnte nicht mehr aufhören, alles ein wenig zu lange, ein wenig zu schrill, aber war es nicht wirklich zum Totlachen, wie sie sich da mitten auf dem Parkplatz vor dem Lütten aufgebaut und auf ihn heruntergeblickt hatte... Später fragten sie sich, ob Preußen so hoch in den Norden vorgedrungen sei,da zitierte Luisa ihnen den Spruch, der sage und schreibe auf einem Obelisk in der Bezirksstadt stand:
    Ziel erkannt,
    Kraft gespannt,
    Pflicht getan
    Als German.
    Wieder das schütternde Lachen, so fuhren sie in Rehna ein. Die gleichen angestaubten Pullover, Unterröcke und Kissenplatten, der gleiche Krimskrams, aber dazwischen ein Fischgeschäft mit einer schwarzen Anzeigetafel, auf der stand mit Kreide geschrieben: »Leb. Krebse«, und als sie aufgeregt hineingingen, handelte es sich wahr und wahrhaftig um lebende Krebse, und der freundliche Verkäufer, der sich von ihrer Begeisterung anstecken ließ, erbot sich, ihnen den ganzen Rest, zwei Kilo, aus dem Wasser zu fischen, den sie dann auf komplizierte Weise in wassergefüllten Plastebeuteln transportieren mußten. Nun war also klar, und die Aussicht verschönte den Rest des Tages, daß sie am Abend zusammenbleiben, Krebse essen und Weißwein trinken würden.
    Erinnert ihr euch der Inschrift an der Rehnaer Klosterkirche? Die Klostergänge – deren einen man durch den Gitterzaun hindurch sehen kann – hätten einst den Mönchen und Nonnen auf ihrem Weg vom Zellentrakt zum Gottesdienst in der Kirche zur Sammlung gedient. Langsam folgten sie, außerhalb des Zauns, dem Weg der frühen Mönche. Die verzehrende Sehnsucht nach Konzentration auf eine Mitte hin und die unbändige Lust, sich in die exzentrische Bahn zu werfen, alle Energien zu verschleudern und zu zerstreuen – beides, so redeten sie, sei in uns angelegt. Keiner von unskonnte sich vorstellen, wie die Schleuderwirkung

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