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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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konnte, und die zusammengelaufenen Zuschauer – Kinder, alte Leute, wir – sich schnell zerstreuten. Schön! sagte Luisa, und in Ellen löste sich endlich die Erinnerung an den Traum der letzten Nacht und stieg in ihr auf. Wie so viele Träume der letzten Zeit spielte auch dieser in einem Haus, das ihrem Bauernhaus ähnlich war, wenn auch in einer ins Häßliche, Minderwertige verzerrten Weise. Von einer Ecke ihrer Küche aus sahen sie und Jan durchs Fenster einen Mann draußen stehen, an der Hintertür. Ohne eine Geste, ohne ein Wort forderte er, eingelassen zu werden, undsie ließen ihn ein. Er war ein Mann mit einem Auftrag, er handelte, wie er zu handeln hatte, er war glatt, stumm, unangreifbar. Er wartete. Da kam auch schon der andere angehetzt, der, den der erste erwartete, verwildert, braungebrannt, auf der Flucht. Er rüttelte an der Haustür, ruhig ging der erste ihm öffnen, Ellen, die gelähmt dabeistand, wußte: um ihn festzunehmen. Jetzt erst sah sie: Der Flüchtige war von allen Seiten von Häschern umgeben. Auf einmal, buchstäblich in der letzten Sekunde, hatte er eine Sense in der Hand und schwang sie, als mähe er Gras, im Kreis um sich, so daß niemand sich ihm nähern konnte. Ein Hoffnungsfunke blitzte in Ellen auf. Sie und Jan sahen vom Küchenfenster aus, wie er sich wehrte. Sie wußten: Lange konnten seine Kräfte für diese wilde Verteidigung nicht reichen. Die anderen brauchten nur abzuwarten. Sie brauchten ihn sich nur totwirtschaften zu lassen. Inständig wünschte Ellen ihm unbegrenzte Kräfte. Im Erwachen hörte sie eine Stimme: Unsere Enkel fechtens besser aus. Der Abgrund von Trauer, in den sie wieder stürzte.
    Unbegrenzte Kräfte bedeuten unendliches Leiden für die Verfolgten. Vielleicht ist es nicht so schlecht, wenn irgendwann die Kräfte nachlassen. Wenn sie gerade noch ausreichen, sich irgendwo zu verkriechen, in dieses Eckchen hier, als sei das freigehalten worden für diesen unvorhersehbaren Fall. So laufen die Gedanken, wenn man sie einfach laufen läßt, wenn man müde wird und nicht aufpaßt. Wohin fuhren sie denn? Zum alten Schulzenhof, den man Stück für Stück an seinem ursprünglichen Standort abgebaut und hierhergebracht hatte, wo man ihn, Stück für Stück, als Museum wiederaufstellte. Vor dem Eingang verkaufte eine Frau mit fußligem Haar die Eintrittskarten, während ihr Hund, einer der landesüblichen weißen Spitze, den Bauch mit einem warmen Schal umwickelt, trübe blinzelnd in dem Sessel lag, den eigentlich die Kartenverkäuferin einnehmen sollte. Als Jan ihn ansprach, fuhr er hoch und stieß ein böses gesundes Bellen aus, das wir in den Dörfern, durch die wir mit Rädern fuhren, fürchten gelernt haben. Ach, sagte die Frau ergeben, der ist ja wohl gar nicht krank. Der verstellt sich ja wohl bloß.
    Lange gingen sie dann in dem alten Hallenhaus umher, studierten an der Tafel mit den elektrischen Lämpchen seinen Plan, betrachteten die kurzen klobigen Betten und all das andere naive, etwas plumpe, für die Ewigkeit gemachte Gerät, das handgewebte Leinen, die Dreschflegel und die Flachsbrechen. Aus den Trachtenbildern blickten die Benutzer dieser Gegenstände sie ernsthaft an, und etwas wie Verlegenheit, eine schwer benennbare Art von schlechtem Gewissen überkam sie, so als würden wir es uns zu leicht machen mit unseren schnell veraltenden Waren und Konsumgütern, mit unseren ganzen flüchtigen und oberflächlichen, keiner Verantwortung verpflichteten, daher wenig dauerhaften Leben. Lange buchstabierte Ellen an einem kunstvoll bestickten Wandbehang, der die biblische Geschichte in rührende Reime brachte und, wo immer es anging, Worte durch Bilder ersetzte: Da krähte vor Morgengrauen der Hahn dreimal, und es war ein prächtiger mecklenburgischer Hahn, gestickt in fünf Farben, der sich da brüstete und seinen Schnabel aufriß. Wahrlich, ich sage euch. Werdet ihr mich verraten haben. Verrat als Grundvergehen, in das Zentrum der Moralversetzt – ein damals neuer Vorgang? Eine Frage, die die Menschen auf den Bildern in den Bauernkostümen überhaupt nicht verstanden hätten.
    Die Halbwüchsigen, die kichernd hinter ihrer Lehrerin durch die Räume streiften, sich überlegen und verächtlich über die unbeholfenen Zeugnisse früher Arbeit äußerten, verstünden die Frage schon wieder nicht mehr, aus anderen Gründen: Verrat scheint ihnen das tägliche Brot der Geschichte. – Luisa, die ganz anderen Gedankenketten nachhing, flüsterte Ellen noch einen Spruch

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