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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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gestorben. Lächerlich gering sollte der Preis des Grundstücks sein, aber als wir wieder auf dem Hof standen, aus der Hörweite der Frau, sagte uns Herr Vorfahr, daß er es wahrscheinlich an eine junge Familie verkaufen müsse, die bei der Genossenschaft arbeiten werde. Das sei gesetzlich. Wir sollten uns doch mal das Klaarsche Haus ansehen, das schon ein Vierteljahr leer stehe. Er erklärte uns den Weg dorthin. Mochte der Mann rücksichtslos gewesen sein – irgendein großzügiger Kern war nicht ganz verschüttet, empfanden wir. Als wir uns aus der Entfernung noch einmal umsahen, lag da sein Gehöft in starken Farben. Plastisch, wie aus der Landschaft ausgeschnitten und nach vorne gerückt. Mit scharfen Rändern. Als sähe jemand es zum letzten Mal. Der alte Vorfahr war schnell ins Haus gegangen.
    Es mochte unvermeidlich sein, daß wir uns, angesichts der prallen Wirklichkeit von Vorfahrs Besitz, eine Spur unwirklicher vorkamen, ein wenig blasser, durchsichtiger, um eine Winzigkeit schwächer. Wie sollman das glaubhaft machen, dachte Ellen. Sie sah, wie Jan Luisas Blick im Rückspiegel suchte. Wie merkwürdig es war, daß zwei grundverschiedene Menschen wie Jan und Luisa in bestimmten Augenblicken das gleiche empfanden und das auch, auf eine scheue, zurückgenommene Weise, voneinander wissen konnten. Ellen suchte nach einem Wort, das beide beträfe, und fand, überrascht: Verletzbarkeit. Eine Art Wiedererkennen, denn war es nicht dies, genau dies gewesen, was sie vor vielen Jahren zu Jan hingezogen hatte? Ein Urgefühl, das sich auf einmal wieder regte. Wie ein Zauber, dessen Kraft zurücktreten, aber nicht schwinden kann, der so fest in den Alltag eingearbeitet wird, so sicher in ihm aufgehoben ist, daß er des Wortes nicht mehr bedarf. Luisa brauchte keine Worte, sie erspürte Menschen mit anderen Organen als denen der Sprache, und auch Jan suchte keine Worte für die Art seiner Blicke, die manchmal wie verloren auf Luisa ruhten.
    Nun hatten wir das kleine Dorf schon durchfahren, waren schon rechter Hand auf die neue Straße abgebogen, die, ein schmales, an den Rändern abbröckelndes Teerband, zum neuen Futtermittelwerk führte und an der, gut einen Kilometer vom Dorf entfernt, das Klaarsche Haus lag, weithin kenntlich durch die Pappelreihe, die es im Sommer gegen Nordostwinde und die Sicht von der Straße her schützte.
    Jan hielt. Müssen wir da hin? Seine Unlust übertrug sich auf die anderen. Es war vier Uhr nachmittags. Hitze und Müdigkeit drückten auf die Lider. Niemand wollte das Klaarsche Gehöft noch sehen, außer Antonis. Na los, sagte er. Wenn wir schon hier sind.
    Trostlos und unwirtlich, fühlten wir. Als würde dieLuft kälter, je näher wir dem Gehöft kamen, einem an drei Seiten von Gebäuden umstandenen großen Quadrat. Erklären konnten wir unser Mißbehagen erst, als wir an das Wohnhaus herankamen, welches das Quadrat abschloß, ein langgestrecktes, wohlproportioniertes, festes Gebäude mit Ziegeldach. Trostlos und unwirtlich. Dieses Haus verfiel nicht, es wurde zerstört. Wie wir um das Haus herumgingen, konnten wir sie ausmachen, die Stadien der Zerstörung. Zuerst werden die Fenster eingeschlagen, daß Nässe und Wind anfangen können, sich im Haus zu betätigen. Die machen sich an die Wände heran. Einzusteigen war nicht schwierig, doch wünschten wir dann, wir hätten es nicht getan. Am schlimmsten der Anblick der alten schönen Kachelöfen, die zu zerschlagen eine schwere Arbeit gewesen sein mußte. Oder die alten Schränke, deren Türen sie ausgehoben und verbogen, zerspalten hatten. Ratlos und schweigend gingen wir durch die Räume. Keine Tür mehr heil, alle Leitungen beschädigt. Jan dachte, wie sie als Jungen in verlassene Gebäude eingestiegen waren, ein Schlupfloch gesucht, sich heimlich eingenistet, geraucht, Vorräte angelegt hatten. Aber alles zerschlagen? Warum. Woher der Haß auf unbeschädigte Dinge. Unser Unglauben, unser Zorn gingen in eine schwere Bedrückung über. Als habe die ganze ländliche Harmlosigkeit, der wir allzuschnell getraut hatten, weil es uns gerade zupaß kam, uns, durch eine Drehung um wenige Grad, ihr anderes Gesicht zugekehrt, das fremd, düster, bedrohlich und gefährlich war. Uns fror. Wir wollten weg. Antonis durchstöberte noch den Boden, fand ein paar Flaschen aus dem grünbraunen Glas der mecklenburgischen Porzellanmanufaktur, die durch einen unwahrscheinlichenZufall nicht zerschlagen waren, und ein paar Stücke des festen grauen Leinens, das

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