Sommerstueck
ihm dem Vorfahrschen Gehöft nähern, weil wir es später nie wieder so vorfinden würden wie an jenem Nachmittag. Hier trafen wir, das sahen wir gleich, obwohl wir nicht sofort hätten sagen können, welche Merkmale es anzeigten, auf Festigkeit. Selbstbewußtsein. Tradition. Bist du sicher, fragten wir Antonis, daß die verkaufen wollen? Antonis konnte nur müde die Augen schließen. Er war sicher. Das langgestreckteHaus – roter Klinker, Fachwerk, Rohrdach – lag in einer flachen Senke, unerreichbar für die Winde aller Himmelsrichtungen, unser inzwischen geübtes Auge erfaßte mit einem Blick den einwandfreien Zustand des Hofgeländes und der großen, rohrgedeckten Nebengebäude. Man betrat das Haus über ein Steintreppchen, das direkt in die leicht erhöhte Diele führte. Antonis blickte sich um, sah uns bedeutsam an: Jugendstilmöbel! Ein Aufsatzschrank mit farbigen Glasfensterchen, wie man ihn nicht leicht irgendwo sehen konnte. Die überraschend junge Frau Vorfahr, ebensogut instand wie ihr Haus, führte uns in das Wohnzimmer rechter Hand, plazierte uns in modernen Sesseln und nahm auf unsere Bitte einen handkolorierten Stich von der Wand, der das Vorfahrsche Gehöft gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts zeigte, säuberlich, handlich, gut gegliedert. Jan hielt das Bild lange in der Hand.
Der Mann, der dann eintrat, übertraf alle unsere Erwartungen. Wilhelm Vorfahr, ein mächtiger, massiger Mensch, aus dem man, so sagten wir es uns später, zwei hätte machen können, gut und gerne. Unsere Hände verschwanden in seiner rechten Pranke. Besorgt sahen wir zu, wie er sich auf einem gewöhnlichen Sessel unterbrachte. Sein bulliger Kopf war, im Verhältnis zum Körper, etwas zu klein, mit einer fast weißen Haarbürste bewachsen, hochrot das Gesicht, die Augen, wasserblau, tief hinter den Wangenwülsten versteckt. Ein Mensch, der mit seinen Ansichten nicht hinterm Berge hielt. Tja, verkaufen müsse er ja nun wohl, er werde älter, und zusehn, wie das Grundstück verkomme, das wolle er ja nun in gar keinem Fall. Ein grober Klotz, dachten wir, aber er tat uns auch leid, wie er mit leichtbrüchiger Stimme sagte, dieses Gehöft sei seit fünfhundert Jahren in der Hand der Vorfahrs gewesen. Das ist schon was, sagte Antonis, und er meinte es ehrlich. In einem zähen Hin und Her von Fragen und halben Antworten, von Gesprächsfetzen und Andeutungen, und während wir an dem selbstgemachten Johannisbeerschnaps nippten, kam heraus, daß Wilhelm Vorfahr Anfang der fünfziger Jahre als einer der letzten seinen Widerstand gegen die Genossenschaften aufgegeben hatte; daß er sich niemals mit dem Verlust seines Besitzes und vor allem mit dem Verlust an Ansehen, der damit verbunden gewesen, hatte abfinden können, nie hatte verschmerzen können, daß ihm die Verfügungsgewalt über Land und Leute genommen war. Ein Gewaltmensch, dachten wir. Ein Arbeitstier. Einer aus einer untergegangenen Gattung, der uns auch Scheu abnötigte. Wilhelm Vorfahr arbeitete also in der Bezirksstadt auf dem Schlachthof, seit er sich vor Jahren mit der Genossenschaft endgültig überworfen hatte. Daß es kaum noch einen Menschen gab, mit dem er nicht über Kreuz war. Als er uns durch das Haus führte, sahen wir auch, daß er sich kein Mitleid leistete mit der Frau, die um zwanzig Jahre jünger war als er und ein Unmaß an Arbeit in Hof, Haus und Garten bewältigen mußte. Tjoa, min Frau, dei moakt dat allens. Wir sparten nicht mit Lob, das uns säuerlich schmeckte. Wilhelm Vorfahr ließ uns wissen, daß er noch vor wenigen Jahren ein modernes Bad und eine Zentralheizung hatte einbauen lassen. Für die Frau. Damit sie es leichter hatte. Luisa sah Ellen an. Dieser Klotz von einem Mann lebte unter der Angst, im Alter seine jüngere Frau zu verlieren, und er konnte seine Angst und die Bitte, ihn nicht zu verlassen, nichtanders ausdrücken als durch ein gekacheltes Bad. Frau Vorfahr war inzwischen in der großen, peinlich sauberen, ziegelsteingepflasterten Küche mit ihrer Wäsche beschäftigt. Hier hätten früher, sagte sie, zehn, fünfzehn Leute gegessen, nun oftmals sie allein. Man graule sich ja. Ob wir uns mal den riesigen Gemüsegarten angesehen hätten, ganz und gar bestellt, wie früher. Für wen denn. Und wie oft sei sie nachts alleine, wenn ihr Mann zur Spätschicht müsse. Aber wie er die Umsiedlung überstehen solle...
Nun, er hat sie nicht überstanden. Noch vorher, wenige Wochen nach unserem Besuch, ist er im Krankenhaus am Herzinfarkt
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