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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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sich selbst kaum stellte, von ihr fernhalten. Nicht um sie, sondern um sich zu schützen. Was er nicht wußte. Was sie ihn nicht merken ließ. In der Schwebe, immer in der Schwebe. Nur Irene, die mit Clemens herübergekommen war, sich mit an den Tisch gesetzt, schnell ein paar Gläser Wein getrunken hatte, deren Augen glitzerten – Irene reizte es, dem Ballon die Luft abzulassen, ihm kleine Nadelstiche zu versetzen. Es sei doch ganz klar, sagte sie, entschuldigend lächelnd, daß diese alten Bauernhäuser überall im Land besetzt würden von den Ausweichlern der vorigen Generation, die vor sich selber flohen. Denen die Bewegung das Ziel ersetzen müsse, das sie verloren hätten. Das sie, die Nächstjüngeren, ja nie gehabt hätten. Zurück zur Natur – sei das nicht eine Losung vor einer Revolution. Was bedeute es denn aber, wenn diejenigen, die sich einst der Veränderung verschrieben hätten, nun schlicht aufs Land gingen? Kapitulation? Sie wolle nur andeuten, wie andere den Vorgang auslegen könnten. Sie urteile nicht. Sie wolle ja nur versuchen, diese undurchdringliche Generation zu verstehen, ihre frühere Begeisterung, ihre heutige Enttäuschung. Die alle Plätze besetzt halte. Ihnen alle Türen vor der Nase zuschlage. Alle Privilegien mit Beschlag belege, auch das, Widerstand zu leisten.
    So konnte man es auch sehen, zweifellos. Die Unfähigkeit zu handeln als Schuld. Schuld, daß sie ihrePläne, Entwürfe, da man sie ihnen mit mehr oder weniger Aufwand, mehr oder weniger plump abgeschmettert hatte, einen nach dem anderen zurückgezogen, beiseite gelegt hatten. Auf kleiner Flamme kochen, nannte man das wohl. Sich in eine Umgebung zurückziehn, die einem nicht mehr melden konnte, wieweit man sich durch Selbstaufgabe verfehlte.
    Dies alles, sagte Jan, sei ein überflüssiges Lamento. Alles habe seine Zeit: an etwas glauben und sich dafür einsetzen; die Grenzen der eigenen Illusionen zu spüren bekommen; sich besinnen, sich neu orientieren und anderes versuchen.
    Anderes, sagte Ellen. Was denn. Blumen züchten.
    Jan sagte aufgebracht: Aber was willst du machen.
    Eben, sagte Ellen.
    Gestrandet, dachte Luisa traurig. Der Ballon hat aufgesetzt. Sie half Ellen beim Abwaschen, einer umständlichen Prozedur mit auf der Kochplatte gewärmtem Wasser und einer komplizierten Schüsselfolge, die Ellen genauestens dem Abwaschsystem nachgebildet hatte, das sie, Jahrzehnte war es her, nicht weit von hier in der Diele eines Bauernhauses erfunden hatte. Fluchtzeiten, kurz nach dem Ende des Krieges. Und diese eine Schüssel hier, sagte sie zu Luisa, die mit dem abgeschlagenen Rand, ist von damals. Wie lange ich daran nicht mehr gedacht habe.
    Luisa sagte: Weißt du, warum ich vorhin so erschrocken bin wegen der Weinflaschen? Als Kind ist mir das mal passiert, ich sollte den Wein aus dem Keller holen, meine Hände waren vor Aufregung schweißnaß, beide Flaschen rutschten mir vor meinen Eltern und dem Besuch aus den Händen und zerschlugen auf dem Steinfußboden.Du kannst dir nicht vorstellen, wie schlimm das war.
    Luisa, die nicht hassen konnte. Der die blanke Mordlust in den Augen stand, wenn sie von ihrem Stiefvater sprach, endlich von ihm sprechen konnte, dachte Ellen. Dem ehemaligen U-Boot-Offizier. Du weißt ja nicht, Ellen. Du hast ja keine Ahnung.
    Vielleicht wußte sie wirklich nicht. Hatte keine Ahnung.
    Als sie vor die Tür traten, saßen die anderen draußen im Dunkeln, Jenny und Tussy standen am Zaun, zurück von ihrer Radtour. Abends baden sei irre. Luisa nahm das Wort auf, das zu ihr nicht paßte. Wißt ihr noch? Sie nannte die Ankunft von Irene und Clemens im Jahr davor »irre«. Es habe schon so unglaublich angefangen, sagte sie. Sie habe in ihrer Küche am Herd gestanden, es war heiß, viel habe sie nicht angehabt, da kam – so erzählte Luisa es – ein Mensch in die Küche gerast, im Stadtanzug, mit weißem Oberhemd, Schlips – Ehrenwort! sagte sie –, er schwitzte, er japste nach Luft, er fragte sie, alles eilig, eilig, nach dem Weg zu Frau Dobbertin. Draußen wartete das Taxi mit Irene. Ich wußte ja, um wen es sich handelte, und er hätte es auch wissen müssen. Ich hatte ihm doch das Quartier bei Frau Dobbertin besorgt, ich hatte ihm doch beschrieben, wo ihr Haus lag, wo unseres lag. Schon danach hätte er mich erkennen müssen. Aber er war noch so in Fahrt, so stadtbesessen, daß er noch nicht gucken konnte. – Und du? Hast nicht den Mund aufmachen können. – Wo werd ich denn. Ich hab ihm den Weg

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