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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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früher in jedem Bauernhaus für die Aussteuer der Töchter hergestellt wurde. Wir sollten uns Tischläufer daraus säumen. Komm! Weg hier! Wir flohen, wieder durch eines der hinteren Fenster. Es wäre nicht nötig gewesen, daß wir, mitten in den Brennesseln hinter dem Haus, das Vogelbauer noch liegen sehen mußten. Daß Luisa, Jans heftigen Zuruf mißachtend, darauf zugehen und es hochheben, daß sie so lange auf das zerschlissene, räudige Fellbündel darin starren mußte, bis sie endlich begriffen hatte, was wir anderen schon wußten: Hier war eine Katze eingesperrt gewesen und verhungert. Luisa stieß einen Klagelaut aus, Ellen packte sie fest am Oberarm und führte sie zum Auto, fühlte eine Gänsehaut die Wangen hochkriechen, unterdrückte den Brechreiz. Sie fuhren. Nach einiger Zeit fragte Ellen: Wer macht so was? Diese da, sagte Jan und zeigte auf eine Gruppe von Halbwüchsigen, die rauchend, trinkend und grölend am Dorfkonsum standen. Sie denken sich nichts dabei. Das war es eben.
    In der ersten Zeit auf dem Lande hat das prall Gegenständliche noch eine weitere Bedeutung, eine symbolische, gleichnishafte Wirklichkeit tritt aus ihm hervor, die wir in den Städten nicht mehr bemerken. Der Käfig mit der toten Katze war ein Warnzeichen, über das wir nie wieder sprachen, das uns alle aber tief verstört hat, in verwandelter Form durchgeisterte er unsere Träume, in wie vielen Nächten sind wir selbst die Katze gewesen, wieviel Angst wurde freigesetzt, während sich, wieder und wieder, die Käfigtür hinter jedem von uns schloß. Ein Ungeist, dem wir nicht zu begegnen wußten, waruns entgegengetreten, die Lemuren waren am Werk, ein Schatten war über die Landschaft gefallen.
    Aber Antonis mußte an jenem weit zurückliegenden Tag noch seine Truhe kaufen, da komme, was wolle. Den kleinen Abstecher zum Forsthaus würden wir ihm doch nicht abschlagen wollen. Zum Forsthaus. Ja. Dorthin, wo die Truhe stand. Welche Truhe. Die, für die er den ganzen Tag das viele Geld mit sich herumgetragen hatte. So. Also wir sind ein Geldtransport. Aber davon hast du uns kein Wort gesagt. Dann wißt ihrs jetzt. Wenn er heute die Truhe nicht kaufte, würde er unterwegs nicht ruhig schlafen können.
    Wir wußten: Das war buchstäblich wahr.
    Ihr werdet staunen, verkündete er. Wir sagten, daß wir jetzt schon staunten. Das überhörte er. Er gab uns Richtlinien für unser Verhalten während der Verhandlungen: zurückhaltend, verkaufsfördernd, preissenkend. Die Förstersfrau, die übrigens Trinkerin sei und besagte Truhe in den Nachkriegszeiten wahrscheinlich aus irgendeinem Schloß hierhergeschleift habe, verlange viertausend Mark. Nach kurzem Schweigen wagte Ellen zu fragen, ob er verrückt geworden sei, und Luisa sagte leise: Ja! Antonis aber rechnete uns scheinbar kühl vor, daß er ein solches Stück jederzeit für acht-, ja: zehntausend Mark wieder verkaufen könne. Mochte sein, nur daß er niemals etwas verkaufte.
    Wir hatten schon zu viel gesehen, waren in zu viele Richtungen auf zu vielen verschiedenen Straßen und Wegen gefahren, Ellen verlor die Orientierung, wo dieses Forsthaus lag, hätte sie nicht erklären können. Immer erinnerte sie sich an die vier großen Kugelweiden, die wie Wächter vor seiner Eingangsfront standen, andie Ringelblumen entlang des Vorgartenwegs und an die grüne Eingangstür, an der ein Schwarm dicker bläulicher Schmeißfliegen sich sonnte, ehe wir anklopften. Erschreckt nicht! sagte Luisa leise. Über der Tür hing ein mächtiges Hirschgeweih. Die Frau, die endlich öffnete, übertraf alle Befürchtungen. Jan und Ellen stritten sich später, ob sie schon sechzig war, Ellen behauptete, mindestens sechzig. Es hauchte dich von ihr an wie aus dem Grab, hast du das nicht gemerkt! Na, na. Wie aus dem Grab! Ein Moderhauch, das schon, nach ungelüfteten Kleidern und verstaubten Stuben, nie gereinigten Polstern. Ellen sagte, es sei der Geruch ihres vermoderten Haares gewesen, der sie beinahe umgeworfen hätte. Auffallend war jedenfalls ihr Froschmund.
    Die Truhe stand in der Diele, ein sehr altes, gediegenes, wertvolles Stück, das konnte niemand Antonis bestreiten, reich geschnitzt und mit Eisen beschlagen. Seht ihr, flüsterte er, fünfzehntes Jahrhundert. – Sechzehntes, sagte Jan. Antonis hielt ihm das Buch unter die Nase, in dem die Truhe abgebildet war: Fünfzehntes! So, sagte Antonis zu der Frau. Heute wird der Kauf perfekt. Das Geld hab ich dabei.
    Rasche Gegenfrage: Wieviel? – Viertausend.

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