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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Wie ausgemacht. – Aber. Da ist doch noch dieser Berliner Professor. – Der hat sich seit Wochen nicht gemeldet. Ich warte nicht länger. Hier ist das Geld. – Mal langsam, mal langsam.
    Theater, oh, Theater! Jetzt muß die Flasche auf den Tisch, die Antonis natürlich mitgebracht hat. Ha, Schurke! Sie wird nicht angerührt. Erst sollen wir alle noch gründlich die Truhe besichtigen. Also Rollenspiel. Balance zwischen Bewunderung und Skepsis, Jan spieltsich ein. Er äußert Zweifel am Alter der Truhe. An ihrer Echtheit, also an der Berechtigung des Preises.
    Dies nun duldet der Regisseur plötzlich nicht. Sei still! zischt Antonis Jan an. Wir begreifen: Jedes Wort gegen die Truhe ist ein Wort gegen ihn. Zum erstenmal sehen wir einen Sammler vor dem Stück, von dem er besessen ist. Wir haben den Mund zu halten. Schwach kann Jan noch fragen, wo Antonis das Monster aufstellen wolle. – Das laß man meine Sorge sein. – Gutgut. – Und daß Sie im Preis noch etwas heruntergingen? fragt Luisa die Frau. Die wirft den Kopf mit dem Moderhaar hoch: Viertausend! Das ist nun aber mein letztes Wort! – Aber ja! sagt Antonis und gibt uns ein energisches Zeichen: Von jetzt an rede ich!
    Wir gingen ins Zimmer, das merkwürdig kühl war bei der Hitze draußen. Als kämen sie in eine Gruft, dachte Ellen. Sie stellte sich neben den Mann der moderhaarigen Frau, den ehemaligen Förster, an den kalten Kachelofen. Er begriff wohl nicht, worum es eigentlich ging, freute sich über den Besuch und stöhnte alle paar Minuten aus Herzenstiefe: Ach ja! Worauf seine Frau, vom Verhandlungstisch her und ohne zu ihm hinzublicken, scharf herüberrief: Du sei mal ruhig und steck dir das Hemd in die Hose!
    Jan setzte seine Fähigkeit ein, sich aus jedem Gespräch nach Belieben innerlich zurückzuziehen. Was sollte jetzt zum Beispiel das Palaver über die Grippewelle. Die schauerlichen Einzelheiten, mit denen die Förstersfrau den Zustand der Wohnung zu rechtfertigen suchte. Seit sechs Wochen kraftlos in der Gewalt des Virus! Ellen machte einen unglücklichen Ablenkungsversuch, kam auf die Geweihe und Wandbilderzu sprechen, mit denen die Wände bepflastert waren, das hätte sie nicht tun sollen. Uferloser, oft heftiger Streit zwischen den Förstersleuten über die Herkunft jedes einzelnen Geweihs war die Folge. Zumeist, so erfuhren wir, handelte es sich um Trophäen aus dem Ostpreußischen, aus der Jungförsterzeit des Mannes, über dessen Jägerqualitäten sich die Eheleute merkwürdigerweise einig waren. Bei mir traf jeder Schuß. Ach ja! – Wo er recht hat, hat er recht. Aber jetzt steck dir gefälligst das Hemd in die Hose, wir haben Besuch!
    Die Wild- und Waldbilder aber, über alle Beschreibung gräßlich, stammten von einem guten Freund, der sie heute noch besuchen kam, um auszuruhen, zu malen und zu jagen. Ausruhen hätte genügt, fanden wir, aber dann trotteten wir ergeben hinter dem Mann her, zu jenem Gewehrschrank im Nachbarzimmer, der angeblich immer noch dem Malerfreund als Behältnis für seine Jagdwaffe diente. Über die Diele also, nochmals vorbei an der stummen teuren Truhe, hinüber ins Jagdzimmer, einen öden, schmutzigen Raum. Da war der Gewehrschrank zu unserer Überraschung in die Fußbodendielen eingelassen und durch Riegel und Sicherheitsschloß wohlverwahrt. Gespannt beobachteten wir die schier endlosen Versuche des Försters, das Schloß aufzuschließen. Als es endlich gelang, als endlich die Klappe gehoben wurde, war das sorgfältig gezimmerte und mit Aluminiumfolie ausgelegte Behältnis allerdings leer. Natürlich leer, zu unserer Erleichterung. Folgte eine endlose, sich immer mehr verwirrende Belehrung über die Sicherheitsvorschriften bei Waffenbesitz. Irgendwann war auch die zu Ende, der Schrank wieder verschlossen und verriegelt, wir konnten ins Wohnzimmer zurückgehen,wo es Antonis endlich fertiggebracht hatte, einzugießen: der Truhenbesitzerin ein volles Glas, sich selbst einen winzigen Schluck. Wir kamen dazu, wie sie miteinander anstießen. Auf Ihr Wohl. – Das hätte aber wirklich und wahrhaftig nicht nötig getan. Schönsten Dank auch. Prösterchen.
    Dann konnten wir wieder mal was von Antonis lernen. Kein Schauspieler hätte den bewegenden Moment, der jetzt bevorstand, besser arrangieren können als er. Wie er langsam, langsam in die Innentasche seiner Lederjacke griff; die alte Brieftasche hervorzog, an die sich die Blicke der Frau hefteten wie festgeleimt; sie umständlich vor sich auf den Tisch legte;

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