Sommerstueck
–, Leute losschickte in die Welt: Antonis. Und schwamm, schwamm, in dem feuchten Grün, das erst jetzt, unter der unverwandten Sonne, anfing zu vergilben. Die Stuben unter dem Rohrdach blieben lange kühl, wenn man die Fenster zuhielt. Aber trocken wurden sie, knastertrocken. Luisa konnte zusehen, wie in der großen Stube, deren drei Fenster nach Südwesten gingen, die Dielen sich zusammenzogen, breite Ritzen entstanden, der Staub von Jahrzehnten zutage kam, wie das alte Holz im Gebälk mürbe wurde, den Holzwürmern ausgeliefert war, so daß sie jeden Tag ein Rinnsal von Holzstaub aufkehren mußte. Dabei sprach sie mit dem Haus. Begütigte. Redete ihm zu. Laß man, laß, konnte Bellasie reden hören. Ist ja alles nicht so schlimm. Das überstehst du auch noch. Das wird schon wieder.
Bella saß derweil in ihrer Dachstube und blickte auf die Felder, wie sie Welle um Welle heranflossen, und auf die korrekte Reihe der Überlandleitungsmasten, die mit ihren Drähten die Wellen schnitten. Sie wußte, Luisa hielt Jonas bei sich und glaubte, sie, Bella, würde an ihren Gedichten schreiben. Aber das tat sie nicht. Sie ließ sich gehen. Beinahe in böser Absicht ließ sie sich gehen und pflegte ihren Haß auf den Geliebten. Den wollte sie nicht beschreien und nicht beschreiben. Nach Frankreich entflog er ihr, dieser leichtflügeligen Rasse gehörte er an, und drei Wochen lang schon kein Zeichen. Hingabe, Entfernung und Sehnsucht, soll das mein Leben sein. Verletzung auf Verletzung. Die Gedichte, die daraus hervorquellen wollten, stieß sie diesmal zurück. Hart würde sie sein oder jedenfalls werden. Dem süßen Hang zum Wort, das alles mildert, nicht nachgeben. Daß er ihr auch das noch nahm, das sollte er zu fühlen bekommen. Meropsvogel. Woher kam ihr dieses Wort? – Luisa aber. Was für ein Kind sie war. Gut sein. An Güte glauben. Was für ein Kind. Gut für Kinder. Gut für Jonas, wie niemand sonst, auch nicht sie selbst.
Eine Arche, dachte Luisa, noch immer im Bett. Das muß ich mit Jonas besprechen. Unser Haus ist eine Arche. Ein Paar von jeder Art. Vom Holzwurm über den Marienkäfer, über Maus und Ratte, Grille, Frosch, Maulwurf, Spatz und Storch, über Schwalbe, Schaf, Hund, Katze, Pferd und Kuh bis hin zum Menschen. Das wird ein Spaß. Luisa konnte es kaum erwarten, die Einzelheiten mit Jonas durchzugehen. Sie würde –
Jonas fuhr hoch, als Bella sich regte. Saß steil im Bett, mit weit aufgerissenen Augen. Ist was?
Nichts, nichts. Du, Jonas, sagte Luisa sanft. Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, wir schwimmen alle drei auf einer Arche, und du bist der Kapitän.
Dann muß ich mir aber zumindest eine Pistole umschnallen, gegen die Piraten, sagte Jonas. Nötig wärs nicht unbedingt, sagte Luisa, doch wenn du meinst. Jonas wollte auch sein neues Kettenhemd aus dem silbrig glänzenden Stoff anziehen, das Luisa ihm genäht hatte. Schwert und Schild ließ er an die Wand gelehnt stehen. Wir müssen aber an alles denken, sagte er. Was frißt zum Beispiel ein Storch? Frösche, mußte Luisa zugeben. Aha, sagte Jonas. Und wenn wir nur ein paar Frösche mitführen? Aus Bellas Bett kam der Vorschlag, sich nach Froschmehl umzusehen, aber Jonas konnte ungehalten werden, wenn einer es an dem nötigen Ernst fehlen ließ.
Beim Frühstück vor dem Haus in der prallen Sonne hatte Luisa es nicht nur mit dem Archespiel, sondern auch mit dem anderen Gedankenspiel zu tun, das zwischen ihr und Bella im Gange war: Seit Tagen überlegten sie, was sie eines Tages tun würden, wenn sie alle Rücksichten fallenließen. Womit sie dann ihren Lebensunterhalt verdienen und zugleich Freude, Glück und Ruhe erwerben könnten, fernab von allem, was sich Mann nannte – ein Gesichtspunkt, den Bella einbrachte und zu dem Luisa, an Antonis denkend, schwieg. Fernab von allem, was uns von uns abdrängen und uns kujonieren und in Besitz nehmen will, sagte Bella zornig – ein Zorn, der noch wachsen konnte; und er wuchs. Von allem, was uns mit der Nase in den Dreck tunken will.
Also was?
Heute befanden sie, daß sie in der alten traditionsreichen Eisenwarenhandlung in der Bezirksstadt, die demnächst schließen mußte, weil der Besitzer, hochbetagt, sie nicht mehr führen konnte, ein CafØ eröffnen wollten. CafØ nannten sie es provisorisch, weil es für das Ding, das ihnen vorschwebte, keinen passenden Namen gab. Ganz falsch wäre es zum Beispiel auch nicht, von einer Teestube zu sprechen, denn ein starker, duftender Tee würde natürlich
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