Sommerstueck
schier das Herze zusammen, sagte sie, in ihrer leicht zitierenden Manier, und Luisa, die ängstlich hinter ihr gestanden hatte, fing an aufzuatmen. – Ja. Ich fing an aufzuatmen. Ich sagte: Findest du? Wirklich? Ich wollte es wieder und wieder hören. Wir richteten uns alle drei im anderen Giebelzimmer zum Schlafen ein, auf dem breiten Bett mit der griechischen Felldecke, die im Winter wärmt und im Sommer kühlt.
Wißt ihr noch, wie sie dann zu einer Gruppe wurden, die uns nicht mehr in alle ihre inneren Verhältnisse Einblick geben konnte? Soviel ist sicher: Bella, die Luisa vorher gar nicht gekannt hatte und die nur auf unser Drängen, aber ohne besondere Erwartung gekommen war, weil sie es, wie immer, versäumt hatte, sich um ordentliche Ferienplätze zu kümmern – Bella unterbreitete Luisa, die so viel jünger war als sie, schon am zweiten Abend, während sie vorm Haus saßen und Wein tranken, ihre Geschichte, die zugleich die Geschichte ihrer Liebe war, und pflanzte so eine niemals endende Hingabe und eine unstillbare Sorge in sie ein. Unter Luisas sanftem Einfluß gab Bella das Rauchen auf – ganz leicht, sagte sie, ganz leicht! –, aß morgens große Scheiben des dunklen Roggenbrots, dick mit Butter beschmiert,trank nichts Alkoholisches vor dem Nachmittag, und dann nur verdünnten Wein. Ach, wie es einem gutgehen kann, sagte sie, setzte sich ruhig an das Fenster vor die überaus schöne Landschaft, schrieb etwas oder schrieb auch nichts und rechnete sich aus, daß sie zum allerersten Mal, seit Jonas auf der Welt war, die Last der Verantwortung für ihn mit jemandem teilen konnte. Luisas Umgang mit Kindern brachte ja ihr Wesen noch stärker hervor als ihr Umgang mit Erwachsenen, die Scheu und Ehrfurcht, mit denen sie Kindern begegnete, nahm denen jede Scheu. In Scharen kamen sie zu ihr und brachten ihr selbstgefertigte Zeichnungen, die Luisa glücklich und bewundernd mit ihnen besprach und dann an die Küchentür heftete. Zwar ist viel Zeit inzwischen vergangen, aber ihr werdet euch erinnern, daß Jonas nur Burgen und Festungen und militärische Anlagen malen wollte, von denen er unglaublich viel wußte und in deren innersten, durch dicke mehrfache Panzerschichten geschützten Kern er eine einzige winzige Figur setzte, mit Helm und Schwert angetan und behangen: sich selbst. In der allerersten Stunde, in der Luisa Jonas zusah, wie er sich bewaffnete: eine Drillichweste mit goldenen Knöpfen und Schulterstücken anzog; einen schwarzen Zweispitz aus Filz aufsetzte; sich ein Waffengehänge mit rotem Plasteschwert umgürtete, ohne das er niemals das Haus verließ – in dieser ersten Stunde ergriff Luisa die verzehrende, schmerzhafte Liebe zu diesem Kind. Dann hörte sie die endlosen, aussichtslosen Dialoge zwischen Bella und Jonas mit an, die erpresserischen Forderungen des Kindes, sah die unkindlich verletzten Blicke eines Liebhabers, nicht eines Sohnes: Du hast mir aber versprochen,daß ich erst mit dir zusammen ins Bett gehen muß! –, die mühsam gezügelten Erwiderungen Bellas, da legte sie sich mit ihrer ganzen Person ins Mittel, zog Jonas zu sich heran, nahm ihn auf sich, mußte sich auch dafür noch schuldig fühlen. Meinst du, daß ich das darf? konnte sie Ellen fragen, und die konnte wieder nur sagen: Du Kind. Es mußte doch jeder sehen, wie Bella aufblühte. Nachts lagen sie in Luisas Doppelbett, Jonas zwischen sich, hielten sich bei den Händen und redeten miteinander, bis der Himmel bleich wurde. Die weiß über alles Bescheid, sagte Bella. Woher sie das hat, das weiß ich nicht.
Ich möchte zwei sein, dachte Luisa, konnte es endlich denken, was sie so lange schon fühlte. Konnte es denken, im hellen Morgenlicht, die kleine Hand von Jonas in der ihren, Bellas Schlafatem auf der anderen Bettseite. Ich möchte zwei sein. Die eine hier im Bett neben Bella und Jonas, in diesem alten großen Haus, das sich um mich legt wie mein eigener, etwas vergrößerter Körper. Die andere bei Antonis, in dem Zug, der jetzt den dritten Tag unterwegs ist, Jugoslawien passiert haben muß und heute die Grenze nach Griechenland überquert. Antonis, ich möchte zwei sein.
Nie, nie würde sie ihm das sagen. Zu Ellen konnte sie in Andeutungen davon reden, am liebsten zu Jenny, die urteilte nicht, die stieß sie immer an: Man los, man zu, hoppa! Sie konnte nicht wünschen, das war ihr Mangel. Jeder Wunsch, der in ihr aufstieg, mußte sich, ehe sie ihn aussprechen konnte, in eine Schuld verwandeln. Man sollte aber
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