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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Küchenfenster Jan herumstreichen, selbstverloren. Nicht an sich, an seine Tätigkeit verloren, und wenn die auch nur im Aufsammeln der trockenen Äste unter dem Apfelbaum bestand. Jan ist, dachte Ellen, der bessere Mensch von uns beiden. Sie teilte es Jenny mit, die nicht widersprach. Ellen und Jenny konnten Jan gut gemeinsam beobachten, sein Herumtrödeln hinterm Haus, wie er kurz einen heruntergefallenenApfel zum Fußball machte, ein Stückchen mit ihm dribbelte, ihn in die Holunderhecke schoß, sie konnten sich anblicken, mit dem gleichen Blick aus verschiedenfarbenen Augen: Männer! Jenny, die glaubhaft einen unerschöpflichen Erfahrungsschatz vortäuschte, liebte es, ihre Mutter in Liebesdingen zu unterweisen. Ellen sah ihre beiden Händepaare auf der blauen Sprelacartplatte des Fenstertischs liegen, ein Anblick, den sie sich merken wollte, der schmerzlichen Erfahrung eingedenk, daß man alles, alles vergißt, sie sah ihre eigenen Hände von feinen Fältchen durchzogen, braunfleckig seit kurzem. Das Alter rückte vor. Es machte ihr nichts aus, das käme später. Jenny, das sah sie ihrem Gesicht an, hatte eben erst die Veränderung ihrer Hände bemerkt.
    Sie wollte mit Ellen über ihre Freundin Tussy reden. Frau Mutter, das Weib will sich verloben!
    Dies tat ich einstens auch, sagte Ellen, aber sie war nicht bei der Sache, weil sie die beiden Kinder im Auge behielt, die auf Littelmarys Sandkasten zusteuerten. Lorchen und Klausi, die Jüngsten von Frau Werkentin. Jetzt paß auf, sagte Ellen, und sie beobachteten entzückt, wie Jan versuchte, mit den beiden ins Gespräch zu kommen. Die, von Erwachsenen nur Anordnungen, Befehle und Verweise gewohnt, nicht aber eine ernstliche Ansprache, preßten fest ihre Lippen aufeinander und blickten ihn stumm und aus irgendeinem Grund trotzig an. Doch sowie Jan ratlos den Rücken gekehrt hatte, stürzten sie sich auf Littelmary und redeten pausenlos auf sie ein, die ihnen angestrengt zuhörte und sich befleißigte, allen ihren Wünschen unverzüglich nachzukommen. Sie rannte ins Haus, holte Schaufel, Eimer,Sandformen. Dann Papier und Tuschkasten. Ihre Puppen. Unendlich viel lag ihr an der Freundschaft dieser beiden Kinder, andauernd blickte sie forschend in Lorchens Gesicht – Lorchen, die schon nächstes Jahr in die Schule kommen würde! –, ob nicht jener gefürchtete Ausdruck störrischer Langeweile auf ihm erschiene, der durch keine Bestechung und durch kein Zugeständnis zu brechen oder zu erweichen war. Ellen, die sich wieder mal nicht zurückhalten konnte, unbedingt Littelmarys Bemühungen unterstützen wollte, brachte, töricht genug, Gläser mit Kirschsaft hinaus, einen Teller mit Kuchen, schlug Spiele vor, erntete aber nichts als abweisende Blicke und abgrundtiefes Schweigen. Obwohl die Saftgläser in Windeseile ausgetrunken, die Kuchenstücke im Handumdrehen verschlungen waren. Dies sei doch vielleicht, sagte Ellen zu Jenny, ein Erfolg.
    Ein Erfolg wessen?
    Ein Erfolg meiner selbstlosen Bemühungen um die Kinderseelen.
    Scheinheiligkeit! Bei der eigenen Mutter! konnte Jenny ausrufen und beide Arme gen Himmel schleudern. Ellen störte doch nur die realistische Einübung der Kinder aufs Leben, das sie sich immer noch anders vorstelle oder jedenfalls anders wünsche, als es nun mal sei. Ein Generationsdefekt, darüber solle sie mal nachdenken. Aber sie hatte ja über ihre Freundin Tussy sprechen wollen. Die nämlich schicke sich an, die Fehler früherer Generationen freiwillig zu wiederholen.
    Was heißt freiwillig.
    Freiwillig heißt, daß niemand sie zwingen kann. Daß ihre künftige Schwiegermutter bloß den Satz fallenlassen muß, sie hätte es aber doch sehr gerne, wenn dasMädchen, mit dem ihr Junge in ihrem Hause und in einem Zimmer übernachte, wenigstens mit ihm verlobt wäre – und schon tut sies. Tussy, meine ich. Obwohl sie weiß, was es bedeutet, wenn die Schwiegermutter in jedem Gespräch mindestens zehnmal »mein Junge« sagt, und daß sie, ob nun verliebt, verlobt oder verheiratet, im Hause der Schwiegereltern leben werden. Obwohl Tussy genau weiß, daß ihre eigenen Eltern sich zu früh verlobten. Zu früh heirateten. Zu früh ihr erstes Kind kriegten: sie. Und nun ihr Leben lang nicht mehr auseinanderkommen.
    Und du bist sicher, daß sie mal auseinanderkommen wollten?
    Ziemlich sicher, sagt Tussy. Aber sie sollen sich irgendwann vorgenommen haben, gemeinsam »das Leben zu meistern«.
    Ja, sagte Ellen. Der Mensch ist geheimnisvoll. Aber nach ihrer

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