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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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und aus dem dämmrigen Hintergrund der Küche sahen Luisa und Jonas ihr zu, wie sie in großen Schwüngen Papierschnipsel gegen den flauen Wind warf. Sie gibt unserm Heer ein Zeichen, sagte Jonas. Das ist klar. – Wenn du meinst, sagte Luisa. Es kann sehr gut möglich sein. Natürlich konnten sie Bella nicht fragen, was dieses Zeichen zu bedeuten hatte, als sie jetzt ins Haus trat, das rote Handtuch über der Schulter, und wortlos ins Badezimmer ging, sich die Haare zu waschen.
    Von Frau Pinnows Haus her näherten sich zwei Gestalten.– Kundschafter! sagte Jonas und schlich sich an. Atemlos kam er zurück: Irene und Clemens seien es, in undurchschaubarer Absicht. Ihn hätten sie nicht ausgemacht. Ehe man sich mit ihnen einlasse, müsse man auf Herz und Nieren prüfen, auf wessen Seite sie stünden. – Gut, sagte Luisa. Aber wie macht man das. – Fangfragen stellen!
    Die Postfrau kam von der anderen Seite her den beiden zuvor und brachte eine griechische Zeitung und für Luisa einen blauen Brief mit einer griechischen Briefmarke. Nichts für mich? fragte Bella von der Haustür her, mit wirrem nassem Haar. Heute noch nichts, sagte Luisa schuldbewußt und versteckte ihren Brief hinter ihrem Rücken. Sie ist imstande, dachte Bella, sich anstelle ihres Briefes einen für mich zu wünschen.
    Ihr werdets nicht glauben, rief Clemens, näher kommend, es gibt hier Milane!
    Achtung, flüsterte Jonas. Wir müssen rauskriegen, wofür Milan das Codewort ist!
    So mußten Irene und Clemens sich auf ein verzwicktes Gespräch mit Jonas einlassen, dessen Gegenstand und dessen Ergebnis jeder von den dreien anders deutete, ehe sie weitergingen in Richtung auf den Kater zu, während Ellen und Jan kurz vor Mittag doch noch den kleinen Spaziergang zum Weiher machten und Ellen Jan von der Frau im Tschad erzählte, von deren Schicksal Luisa besessen war – so stark, daß sie verlangte, sie müßten etwas für diese Frau tun. Ein Gedanke, der mir nur noch selten kommt, sagte Ellen. Daß ich etwas tun könnte. Jan suchte den Rand des Weihers nach Vögeln ab und fragte sich, ob das Schwanenpaar dieses Jahr drei oder vier Junge ausgebrütet hatte. Odervielmehr, verbesserte Ellen sich in Gedanken: Das Signal, etwas tun zu müssen, leuchtet schon noch auf. Täglich. Überhaupt bin ich wie ein Signalkasten, in dem andauernd verschiedenfarbige Lämpchen aufleuchten. Es muß ein schönes flirrendes Muster geben. Nur bewirkt es nichts.
    Es sind doch Haubentaucher, sagte Jan. Erstaunlich, wie lange die Biester unter Wasser bleiben können. Ein Fernglas braucht man hier. (Das Fernglas lag dann in der untersten Lade des alten Schreibschranks und hat merkwürdigerweise in der Asche keinerlei Rückstände hinterlassen.)
    Ist mir die Frau in Tschad wirklich kaum etwas anderes als der Mann im Mond, fragte Ellen sich. Und seit wann habe ich alle die Frauen und Männer aufgegeben, die nach meinen Engagement verlangen? Seit mir klar ist, daß ich den Allernächsten um mich herum nicht helfen kann?
    Du, sagte sie. Ich weiß nicht, ob du es bemerkst, wie ich gesund werde.
    Inwiefern gesund, sagte Jan.
    Ich kann schlafen. Die Magenschmerzen sind weg.
    Was sie verschwieg, was Jan entweder selber merken oder eben übersehen mußte: daß sie sich noch einmal zu verändern begann. Daß sie sich nicht mehr wie ein von falschen Wörtern und Vorstellungen besetztes Land vorkam. Scham spricht nicht. Sonst müßte sie sagen: Ein mit eigener Zustimmung, aus eigenem freien Willen besetztes Land. Am allersichersten Ort hatte die fremde Macht, die Gewalt über sie gehabt hatte, sich vor ihr versteckt gehalten: in ihren Augen. So daß die fremde Macht mit meinen Augen sah, durch mich selbst,dachte Ellen. Und keiner des anderen, aber auch ich meiner selbst nicht gewahr werden konnte. Und daß ich denken mußte, den Fremdkörper von mir abzutrennen, würde mich zerreißen. Fast wünschte ich es, zerrissen zu werden. Tage gab es, da hielt mich nur die Erinnerung an das »Fast«. Die mühselige Heranzüchtung des »Nein« aus dem »Fast«. Es war jenseits der Sprache. Auch jenseits der Tränen. Sie weinte nicht mehr. Sie mußte es lernen, zu schweigen.
    Irene und Clemens kamen den Weg herunter. Die Männer begannen, die Vogelwelt des Weihers zu benennen. Doch, vom anderen Ufer her konnte man das scheue Schwanenpaar mit seiner Brut ausmachen, im Wassergesträuch. Fünf Junge waren es, zweifelsfrei fünf. Ein Junges hielt sich so dicht hinter der Mutter, daß man es leicht

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