Sommerstueck
damals schon sechs Monate lang wegen eines Republikfluchtversuchs einsaß. Vielspäter erst würde er darüber sprechen können, natürlich voraussetzend, daß wir unterrichtet waren, und voll Wut über einen Brigadier, der seinen inzwischen entlassenen Sohn geringschätzig behandelt hatte. Wie einen Sträfling! Wo kommen wir denn da hin! Ein Junge, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Da kannten wir ihn schon drei Jahre und wußten, was wir zu tun hatten: Nicht fragen. Schweigen. Zuhören.
So wie man Uwe Potteck nicht darauf ansprechen konnte, als seine Frau ihn mit der Tochter, die seine Liebe und sein Stolz war, wegen eines anderen Mannes verließ. Schlimm, sagten die anderen Männer, aber nun dreht er ja woll ganz und gar durch. Er fing an zu trinken. Sie nahmen ihn nicht mehr auf Feierabendarbeit mit. Einmal traf Ellen ihn vorm Landwarenhaus mit aufgedunsenem und zerschlagenem Gesicht. Grüßen konnten sie sich. Ansprechen konnte sie ihn nicht.
Wenn es Luisa in den letzten Tagen schwergefallen war, alleine in den Wald zu gehen, der eine bedrohliche Front gegen sie gebildet hatte – mit Jonas, dem bewaffneten Jonas, war es natürlich etwas anderes. Jonas, der ihr eben angekündigt hatte, er müsse sein Heer für die Kreuzzüge ausrüsten; er brauche große Topfdeckel, als Schilde; Lanzen aus Bambusrohr. Und woher die Helme nehmen? Pappe? Biegsame Pappe, die sich kleben ließ?
Mit dem Entschluß, einen Riesenkuchen zu backen, trafen sie wieder in der Küche ein. Luisa konnte jetzt den Reibenapf aus der Kammer holen, das Mehl hineinsieben, Hefe, Milch, Zucker, Fett, leicht angewärmt, miteinander vermischen. Den Teig zum Gehen an denHerd stellen. Mit Jonas darüber verhandeln, ob das ganze Kreuzfahrerheer oder nur die Hauptleute und Obristen an dem Kuchen Anteil haben sollten. Den Grundriß für die Helme auf Papier aufzeichnen, nach Pauspapier suchen und die ganze Zeit in Richtung Bodentreppe lauschen, ob Bella etwa doch ihre Schreibmaschine in Gang setzte. Alles blieb still. Bella schrieb mit grünem Stift an ihrem vierten Brief, den sie Minuten später wie die drei vorigen in winzige Schnipsel zerreißen würde.
War es nicht eine Schande, daß ihr die Anrede jedesmal wieder die gleichen Schwierigkeiten machte und daß sie sich dann jedesmal auf das gleiche Wort reduzierte: Lieber. Und danach, jedenfalls diesmal, keine Klagen. Keine Anklagen, sondern Fragen, in die sich – Stilübung! – Klagen und Anklagen ja auch einkleiden ließen. Warum er sie um alles in der Welt nicht so lieben könne, wie sie es brauchen würde, gewaltlos und zärtlich und selbstlos und absolut. Warum er nicht ein paar von seinen verdammten Männerattitüden aufgeben, warum er diese Kleinigkeit nicht für sie tun könne: nicht immer nur sich selbst in ihr (und in jeder anderen Frau, o ja, das wisse sie!) zu lieben, zu bewundern, anzubeten. Sondern einmal auch sie wahrzunehmen, so, wie sie war. Warum er alle Last auf sie legen müsse. Ach, von den Lasten des Sich-Vorbereitens, vom Saubermachen, Einkaufen, Flaschenschleppen rede sie nicht. Aber davon, daß sie wieder und wieder all die Flaschen umsonst herbeigeschleppt hatte, und keiner war gekommen, das Bier zu trinken, all diese Brote mit vielerlei Wurst zu essen. Diese Last des Wartens und Imstichgelassenseins. Der Enttäuschung. Der Schande, wollte Bellaschreiben, schrieb es aber nicht, auch nicht in einem Brief, der zum Zerreißen bestimmt war. Wisse er denn wirklich nicht, wie ihre Bemühungen, ihn in seinem anderen Stadtteil, ihn in seiner anderen Stadt, seinem anderen Land, anzurufen, fast immer erfolglos blieben. Und wie ihr zumute sein mußte, wenn dann, falls es ihr gleich einmal gelang, nicht seine Stimme, sondern die einer Frau sich vernehmen ließ? Grausamkeit und Gefühlskälte, schrieb Bella. Ich soll verstiegen sein? Wie eine Gebirgsziege? Wenn ich das Einfachste, Natürlichste und Selbstverständlichste verlange? Schande, Schande! dachte sie, und schrieb: So. Jetzt hab ichs dir mal aufgeschrieben, du immer in deinem südlichen Frankreich, das ich für eine Erfindung halte, und nun zerreiß ich den Brief und streu die Schnipsel in den Wind, heute ist es genau der richtige, Ostwind, der nicht verfehlen wird, dir einige glühende Vorwürfe zuzutragen, während ich jetzt hinuntergeh und mir mein Haar wasche, das ich dann in ebendenselben Wind zum Trocknen hängen werde. Punkt Punkt Punkt Punkt Punkt. In erbitterter Liebe.
Bella tat, was sie angekündigt hatte,
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