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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Meinung wachse Jennys ironischer Zitatenschatz etwas zu schnell, es könne einem ja schwindlig dabei werden. Jenny sagte, jetzt wollten sie aber endlich mal wieder ihren schönen Kanon singen: DONA NOBIS PACEM . Wie immer klappte es nur, wenn sie ihn gemeinsam sangen, dann verwechselte Ellen die dritte und die vierte Zeile, das übliche Durcheinander entstand, die Lachanfälle, auf die sie es angelegt hatten, kamen zum Ausbruch.
    Ob die Frau das Frühstück fertig habe, fragten die Handwerker vom ehemaligen Schweinestall her. Aye, aye, Sir! rief Ellen zurück. Die Prüfung, ob man mit Bücherschreiben Geld verdienen könne, hatte sie hinter sich. Aber daß dieses Schreiben hinter jeder anderen Arbeit, auch hinter jeder Frauenarbeit, zurückzustehenhatte, war selbstverständlich. Punkt halb zehn stand das Frühstück auf dem Tisch. Belustigt und ärgerlich beobachtete Ellen, wie sie sich wieder Regeln unterwarf, die sie in der Stadt nur belacht hätte. Wie sie es nicht darauf ankommen ließ, daß man im Dorf herumerzählte, bei ihr kriegten die Handwerker nicht pünktlich zu essen. Ihr fiel ein, was ihr manchmal Frauen von ihrem Leben mit ihren Männern erzählten – mir, wissen Sie, machts ja seit der Totaloperation keinen Spaß mehr, aber der Mann muß sein Recht kriegen, nicht? –, da marschierte die Feierabendbrigade schon, Jan an der Spitze, durch die Küche und den Flur zu der Tafel vorm Haus. Im gleichen Augenblick begann auf dem großen Feld jenseits der Dorfstraße die Gerstenernte.
    Beeindruckend, dachte Ellen, wenn mans das erstemal aus der Nähe sieht: Acht Vollerntemaschinen rückten vom Sandberg her gegen sie vor, in gestaffelter Formation. Eine Wende, und ein Drittel der Fläche war gemäht. Eine Stunde, sagte Paul Mackowiak abschätzend, und der Schlag hier ist vergessen. Jau, sagte Uwe Potteck, der Jüngste, der immer bestätigen mußte, was Paul Mackowiak sagte: Dat schall woll sinn. Sie setzten sich unter das überhängende Rohrdach in den Schatten. Eine Stunde später würde die Sonne schon auf den Tisch brennen. Den Lauf der Sonne mußte man Littelmary noch einmal erklären, mit einem großen und einem ganz kleinen Fallapfel. Sie wollte auf Jennys Schoß sitzen. Wo waren Lorchen und Klausi? Gegangen. Hatte es Streit gegeben? Nicht direkt. Es war wegen der Maulwürfe. Weil sie, Littelmary, einen Maulwurf aus der Erde hatte befreien wollen. Und weil Lorchen ihrdafür nicht die Schippe gegeben hatte. Noch dazu hatte sie behauptet, die Maulwürfe wollten unter der Erde leben. So ein Quatsch, sagte Littelmary. Als ob irgendeiner unter der Erde leben will. – Nach und nach kam heraus, daß sie die Maulwürfe für verzauberte Prinzen hielt, in der Art des Froschkönigs. Ja dann, sagten die Männer wohlwollend. Denn verzauber sie man wieder zurück. Wenn dat so is!
    Ellen sah, wie die Blicke der Männer zu Jenny hinübergingen, und sie sah, daß Jenny, wie immer, keine Wirkung zeigte. Wer ihr das beigebracht hatte. Ich nicht, dachte Ellen entschieden. In allen diesen praktischen Lebensdingen bin ich meinen Töchtern keine Hilfe gewesen. Sie sah, wie gespannt Jenny auf Paul Mackowiak hörte, der jetzt, in seiner westpreußischen Redeweise, in die er ein paar plattdeutsche Wörter aufgenommen hatte, vom Kaninchendieb erzählen wollte, mit dem es nämlich seine Bewandtnis hatte. Stehlen könne jeder, rief Paul Mackowiak und trank seinen zweiten Klaren, Jenny prägte sich ein, wie er den Arm dazu anwinkelte und sich dann die Flüssigkeit mit einer rigorosen Drehung des Handgelenks in den Rachen kippte. Aber bei Walter Burmeister Kaninchen stehlen – das sei eine Kunst. – Genau! rief Uwe Potteck, aber Mackowiak wollte nicht unterbrochen werden: Nu halt mal an. Er war es doch, der Walter Burmeistern persönlich kannte und die Geschichte von ihm selbst gehört hatte. Ihm stand es zu, diese Geschichte zu erzählen, und zwar, wie es sich gehörte, der Reihe nach. Als erstes kam, merkte Jenny sich, nicht der Anfang, sondern die Einleitung. Also, hörte sie Paul Mackowiak dozieren, daß es keinen perfekten Mord gebe und daß jeder Verbrecherirgendeinen Fehler mache, das wisse ja jedes Kind. (Das habe sie bis jetzt nicht gewußt, teilte Littelmary Jenny im Flüsterton mit und wurde beschwichtigt: Gerade noch rechtzeitig habe sie es erfahren.) Aber, sagte Paul Mackowiak, daß ein Kaninchendieb so schwachsinnig sein kann und beim besten Kaninchenzüchter des Bezirkes klaut – nee: Das war schon dümmer als die

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