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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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übersah.
    Sehr niedrig, so daß sie sich unwillkürlich duckten, flog eines der gelben Landwirtschaftsflugzeuge, die leider auch hier, überm See, ihren Dünger abließen, über sie hinweg. Wenn der uns sieht, sagte Irene, was denkt der?
    Der denkt, sagte Ellen, sieh da, da stehn vier Leute, die sicherlich im »Kater« wohnen, müßig am Teich.
    Nein, sagte Irene. Der ist ja gar nicht von heute. Der ist ja ein Zukunftsflieger. Aus der Zeit, da rundum schon das meiste vernichtet ist und nur noch ein paar heile Flecken wie dieser hier übriggeblieben sind. Der ist vom nächsten heilen Flecken aufgestiegen, hat uns wider Erwarten entdeckt, und nun weiß er nicht: Haben wir die Geheimwaffe, und werden wir sie gegen ihn einsetzen, oder nicht. Darum streut er vorsorglich erst mal Gift.
    Ronny! sagte Clemens milde.
    Wollt ihr es leugnen? So redeten wir. Dann setzte eine der Feuersirenen ein, die wir in der zweiten Sommerhälfte beinahe täglich aus den umliegenden Dörfern hörten. Ununterbrochen schien es irgendwo zu brennen. Manchmal sahen wir die Rauchsäulen aufsteigen. Tante Wilma sagte, da genügt doch eine Flasche im Feld, ein Glasscherben auf einem Rohrdach. Das fängt doch an zu brennen, wenn man bloß scharf hinsieht, knastertrocken, wie das alles ist.

14.
    Ein Stück haben wir ja übrigens auch mal aufführen wollen, die Idee ging wohl von Irene aus, aber sie lag in der Luft, als Luisa, Bella und Jonas eines Nachmittags wie eine Theatertruppe über die Hügel kamen, angekleidet für das Malvenfest: Jonas in glitzerndem Panzerhemd und schwarzem Dreispitz, bewaffnet mit Schwert und Schild, die Frauen dagegen mit großblumigen Sonnenschirmen, riesigen Strohhüten, weißen Spitzenblusen und langen bunten Röcken. Tschechow, rief Irene. Aber das ist doch Tschechow! – Irre, sagte Jenny. Das gibts doch nicht. Das müßte doch gemalt werden. Und die Dorfleute traten vor die Türen, wie einst, wenn die Zigeuner kamen, und sie ermunterten die Schauspieltruppe: Recht so, sagten sie. Macht mal ein bißchen Leben hier. Wie früher. Früher, da haben wir uns hier selber Leben gemacht. Da sind wir beim Erntedankfest nicht zu den großen Bauern ins Hauptdorf feiern gegangen. Nee, sagte Tante Wilma. Da haben wirunsern eigenen Erntewagen geschmückt, und da haben wir uns die alten Sachen aus Großmutters Zeiten angezogen, drei, vier Röcke übereinander. Ja – unsere Erntefeste hier, die waren berühmt! Immer die Reihe rum, da kam jeder mal dran, da wurde bei einem die Tenne gefegt und getanzt bis in den Morgen. Da waren wir alle noch jung, und an Krieg hat keiner gedacht.
    Littelmary versäumte den ersten Anblick, sie hatte sich endlich dazu überwunden, über die Straße zu Michael zu gehen – nicht, um mit ihm zu sprechen, dies bedurfte noch längerer Zeit, aber immerhin, um ihm zuzusehen, wie er hinter Irenes Haus Holz hackte. Die Leidenschaft dauerte den ganzen Sommer, es ist nicht wahr, daß Kinder weniger ausdauernd als Erwachsene sind. Er ist so stark, sagte sie ganz benommen und versuchte, mit ihrem dünnen Ärmchen das Muskelspiel an Michaels Oberarm nachzumachen. Hast du überhaupt gesehen, wie stark der ist. – Jonas hatte inzwischen das Gelände erkundet und gab bekannt, daß eine Armee die strategisch wichtige Linie Sandberg-Weiher-Windmühle ohne weiteres würde halten können, wenn die Späher von ihren vorgeschobenen Posten her rechtzeitig das Anrücken des Feindes signalisieren würden. – Aber wie denn! fragte Luisa. – Durch Rauchzeichen natürlich, sagte Jonas. – Das lieber nicht, sagte Luisa erschrocken.
    Hüte her, Mützen, damit man vor dem Haus in der Sonne sitzen konnte. Kuchen, stellte sich heraus, zwei verschiedene Sorten Kuchen waren in den Körben, die Luisa und Bella über die Hügel getragen hatten. Jonas hatte nur kleine Mengen für seine Offiziere zurückbehalten. Schon nachmittags kam Wein auf den Tisch,der immer kühl lag, also hatte der Elektriker in seiner gründlichen, zuverlässigen Art die neue Stromleitung gelegt, an die sich nicht nur ein Kühlschrank, an die sich sogar Wasserboiler und Nachtspeicheröfen anschließen ließen.
    War es diese Runde, die Steffi dann fotografierte? So war auch sie inzwischen mit Josef und David angekommen, hatte das ehemalige Knechtshaus bei Luisa bezogen, fühlte sich gesund, weder sie noch wir wußten, daß ihr nur eine Pause vergönnt war, doch an der Art, wie sie einem Zwang folgte, ihre Zeit zu nutzen, hätten wir es erkennen können. Daß sie

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