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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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einläßt, die Linien, Verzweigungen,Impulse eines einzigen Tages nachzuzeichnen, man wird nicht fertig, und mit schlechtem Gewissen überspringt man ganze Stunden voller wichtigster Ereignisse, um sich nur schon an den Tisch mit den Kaffeetassen und den Weingläsern setzen zu können, zu Kirschkuchen, Streuselkuchen und Napfkuchen, zu der Gesellschaft, die auf ein Dutzend Menschen verschiedenen Geschlechts und Alters angewachsen war und anfing, sich nach ihren eigenen Gesetzen zu entwickeln. Findet ihr nicht, sagte Luisa, daß es jetzt fast zuviel werden kann. Sie war es natürlich, in der Glück und Schrecken sich berührten. Hatte übrigens irgendeiner von uns früher schon Malven gekannt? Ich meine: wirklich gekannt? Gewußt, daß Malven, »Stockrosen«, an die richtige Stelle gesetzt – in den Küchenwinkel hinter dem Haus zum Beispiel, in den Windschutz und die Vormittagssonne –, zu übermannshohen Pflanzen mit mächtigen Blättern werden? Und, jede einzige, Dutzende von Blüten treiben? Ehrenwort. Littelmary polkte in den grünen Blütenkapseln, bis sie herausbekam, in welcher Farbe sie blühen würden. Wer sie nicht gesehen hat, von Weiß über Zitronengelb, Rosa, Zinnoberrot, über tiefes Lila bis zu Schwarz, der kann einfach nicht wissen, was Malvenfarben sind. Auf dem Tisch lagen sie verstreut, über den Türen waren die Malvenstengel angebracht, jeder schmückte sich mit Malven in seiner Farbe. Irene trug eine dunkellila Blüte im Haar. Ja, sie war es, die auf die Idee kam, ein Theaterstück aufzuführen. Frei nach Tschechow, sagte sie. Und jeder spielt sich selbst.
    Wenn ich das könnte, dachte sie. Obwohl – im Spiel müßte es ihr doch einmal gelingen, ganz sie selbst zusein. Neidfrei und selbstgewiß, und warum sollte sie nicht spielend hervorbringen, was sie sonst spielte: Glück. Glück haben. Glücklich sein. Spielerisch lieben, ernstlich geliebt werden. Gleichmütig, ja freundlich bleiben können, hören: Luisa solle die junge einsame Frau spielen, die in ländlicher Idylle von ihrem Liebhaber, einem Universitätsprofessor aus der Stadt, belagert wird. Jennys Vorschlag, der es zugefallen war, Regie zu führen. Wer spielte den Liebhaber? Clemens rufen. Selbst Clemens vorschlagen. Irene tat es. Mußte fragend hinzufügen, ob Clemens der Rolle nicht zu nahestehe. Mußte das Lachen der anderen doch wieder gegen sich auslegen. Also hatten auch sie es bemerkt? Ronny! Clemens’ leise Stimme. Laß doch jetzt.
    Sie ließ ja, ließ auch sich. Bella, rief sie, solle die unglücklich Liebende spielen. – Bella sei schon besetzt. Bella gebe die geheimnisvolle Schöne. Die Hexe im Hintergrund, die alle Fäden zu verwirren scheint und sie in Wirklichkeit in der Hand hält.
    Dies, wußte Irene, hätte ihre Rolle sein sollen. Sie sagte: Ich gebe die Naive.
    Schweigen. Immer dieses Schweigen nach meinen Sätzen, dachte Irene.
    Steffi spielte die kaltschnäuzige und aufdringliche Fotoreporterin aus der Stadt, und Ellen wurde von Littelmary für die Rolle der Großmutter vorgeschlagen. Was sie da zu tun habe, wollte Ellen wissen. Nicht viel, erklärte ihr Littelmary. Sie brauche nur tagsüber am Schreibtisch zu sitzen, Littelmary immer zum Essen zu rufen und sie abends ins Bett zu bringen. Dann müsse sie ihr eine neue Geschichte von Till Eulenspiegel erzählen und in ihrem Schlafzimmer die kleine Lampe brennenlassen und den ganzen Abend über im Nebenzimmer bleiben. Das war schon alles.
    Aha, sagte Ellen. Also mal ganz was Neues. Aber was bist du?
    Es stellte sich heraus, daß Littelmary von Jonas als Prinzessin engagiert war, die sich in ihrer Burg zu verschanzen hatte und von ihm unter Einsatz seiner gesamten Streitmacht verteidigt wurde.
    Also was ist! schrie Jenny. Wer führt hier denn nun eigentlich Regie! Ausufernde Dispute zwischen ihr und Jonas, der behauptete, einen Teil des Personals, zum Beispiel Jan und Anton, für seine eigenen Zwecke zu benötigen, und zwar Anton als Meldegänger und Jan als Koch. – Aber ich brauche doch Anton selber! hörte Ellen Jenny schreien, während sie das Geschirr in die Küche trug. – Und wofür? – Als Liebhaber, Mensch! – Ein Anspruch, den Jonas nicht anerkennen konnte. Zum Glück kam Michael und konnte in die Aufgaben eines Meldegängers eingewiesen werden. Es ergab sich ganz zwanglos, daß er vor der Prinzessin, der er seine Meldungen übergab, jedesmal das Knie beugen mußte. Die Prinzessin hockte, hinter übereinandergetürmten Stühlen versteckt, in Olgas

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