Sommersturm (German Edition)
so lange still.“
Kullik
starrte eine Weile nachdenklich durch mich hindurch. Dabei hatte er einen
Zeigefinger quer auf den Lippen liegen. Dann aber setzte er noch eins drauf:
„Diese Aussage steht leider nicht allein“, sagte er. „Es kommen noch
Beobachtungen von Nachbarn und Lehrern hinzu. Ihre Tante Martha war wirklich
rührig. Ihr muss eine Menge daran liegen, Sie von Bettina fortzubekommen. Sie
hat sich mächtig reingehängt.“
„Aber
warum?“
Auch
Kullik, sicher nicht das erste Mal mit solchen Dingen konfrontiert,
zuckte nur ratlos die Schultern.
„Mein
Eindruck ist“, sagte er schließlich, „dass sie glaubt, was sie sagt. Ganz
offenbar traut sie ihrer Schwester einiges zu. Ich denke wirklich, dass sie es
gut mit Ihnen meint, Julian. Sie sieht sie sozusagen in den Fängen einer
modernen Hexe. Und sie glaubt, Sie daraus befreien zu müssen.“
„Aber
warum denkt sie das? Ich verstehe es nicht.“
„Ich
auch nicht.“ Kullik zuckte erneut die Schultern. „Möglicherweise hat es da in
der Familienvergangenheit etwas gegeben, was sie so denken läßt ,
aber das ist nur eine Vermutung von mir.“
Mir
ging die alte Sache mit Kurt durch den Kopf. Mittlerweile war mir klar, dass es
da früher einen Vorfall gegeben hatte zwischen Betty und ihm. Was das sein
sollte, konnte ich mir allerdings nicht vorstellen.
„Wie
geht es weiter?“ fragte ich.
Kullik
atmete schwer und spielte Daumenkino mit meiner Akte, die nicht mehr ganz dünn
war.
„Martha
hat Ihnen ein Ultimatum gestellt“, sagte er und schob die Brille auf seiner
Nase so weit nach unten, dass er mich über die Gläser hinweg anschauen konnte.
„Ein Ultimatum ?“
„Ja.
Das heißt, zunächst bietet sie Ihnen ein Gespräch an.“
„Ich
wüsste nicht, was ich mit ihr zu besprechen hätte.“ Ich stand auf.
„Nicht
so hastig“, meinte Kullik. „Ich würde mir dieses Angebot sehr genau durch den
Kopf gehen lassen.“
„Warum
sollte ich?“
Ich
hatte den Türgriff schon in der Hand. Kullik schob seine Brille wieder hoch und
kam hinter seinem Schreibtisch hervor.
„Weil
Ihre Tante wild entschlossen ist“, sagte er und sein Gesichtsausdruck wurde
noch sorgenvoller, „ansonsten vor Gericht zu gehen.“
Ich
ließ den Türgriff wieder los.
„Vor
welches Gericht denn?“ Vermutlich war ich leichenblass.
„Das
Familiengericht ist eine Möglichkeit“, sagte Kullik. „Darüber hinaus könnte sie
natürlich Ihre Tante Betty ...“
„Hören
Sie auf!“, unterbrach ich ihn. „Wo soll dieses verdammte Gespräch stattfinden?“
Kullik
schien zufrieden, er grinste.
„Hier“,
sagte er. „In meinem Büro.“
„Und
wer genau soll daran teilnehmen?“
„Nur
Sie, Frau Dädlow und ich.“
„Was
ist mit Betty?“
„Die
nicht. Frau Dädlow befürchtet, sie könne Sie erneut beeinflussen.“
„ Erneut !“,
zischte ich, „so ein dreimal verschimmelter Käse! Ich werde nur dann kommen, wenn
Betty auch dabei ist. Rufen Sie mich an, wenn es soweit ist?“
„Das
werde ich“, sagte Kullik. „Und Julian?“
„Ja?“
„Ich
freue mich, dass Sie so vernünftig sind. Vielleicht gelingt es uns ja noch, den
galoppierenden Gaul aufzuhalten.“
Plötzlich
musste ich grinsen. Martha als galoppierender Gaul, die Vorstellung hatte was.
Kullik wandte sich wieder seinem Schreibtisch zu.
„Ach,
Herr Kullik…“, sagte ich. Er drehte sich um.
„Das
Betty dabei sein darf, werden Sie doch hinkriegen, oder?“
„Ich
denke schon“, sagte er.
„Danke.“
Bevor
ich die Tür hinter mir ins Schloss zog, lächelte ich zurück. Mir schien, ich
hatte einen neuen Verbündeten gefunden. Und vermutlich nicht mal den
schlechtesten.
17
Ich
brauchte dringend Klarheit. Doch über meinen Gedanken lag ein Schleier von
Zweifel und Unsicherheit. Ich fühlte mich wie benommen. Deshalb tat ich
schließlich etwas, was ich noch nie getan hatte: Ich ging allein zum Meer. An
einer einsamen Stelle setzte ich mich in den Sand und blickte auf die
Wellen.
Es
stand fest, dass mich in nächster Zeit jede Menge Ärger erwartete. Dean hatte
mich angezeigt und Martha setzte zum Sturmlauf auf mein Leben mit Betty an.
Aber ich war wild entschlossen, mich zu wehren. Ich hatte mich doch sehr an
Betty gewöhnt.
Plötzlich
schossen mir Tränen in die Augen, ich war machtlos
dagegen. Ich weinte aus Wut, aber auch aus Verzweiflung. Aus Verzweiflung
darüber, in Zukunft ohne Betty leben zu müssen. Deans Worte gingen mir durch den
Kopf:
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