Sommerzeit
Dienstagnachmittag, als er und Pia von ihrem Einsatz zurückfuhren, klingelte das Telefon. Johan zuckte zusammen, als er die Stimme erkannte. Es war Madeleine Haga, eine Reporterin der landesweiten Nachrichten. Sie und der Kameramann Peter Bylund waren soeben auf Gotland eingetroffen und im Strand Hotell abgestiegen.
Sie verabredeten ein Treffen in der Redaktion.
Johan kannte Madeleine Haga seit Jahren. Vor langer Zeit einmal hatte sich etwas zwischen ihnen angebahnt, aber es war im Sande verlaufen, ehe es richtig angefangen hatte. Dann war er nach Gotland geschickt worden und hatte Emma kennengelernt. Seither hatte es in seinem Leben keine andere Frau mehr gegeben.
Als Madeleine die Redaktionsräume in der Östra Hansegata in Visby betrat, konnte er sich ihrem Charme nicht entziehen. Sie war eben erst von einem Spanienurlaub zurückgekehrt und braun gebrannt. Sie steckte in einem engen Jeansrock und einem Hemdchen, das für eine Reporterin viel zu weit ausgeschnitten war. Ihre großen braunen Augen leuchteten.
»Hallo«, sagte sie fröhlich.
Er sprang von seinem Computer auf und umarmte sie. Sie duftete ein wenig nach Zitrone.
»Guten Tag.«
Hinter ihm tauchte der Kameramann Peter Bylund auf. Die beiden umarmten einander ebenfalls.
»Was für eine Überraschung«, sagte Johan. »Dass es dich wieder hierher verschlagen hat – wie war’s denn in Russland?«
Peter Bylund hatte in einem mehrere Jahre zurückliegenden Sommer mit Johan zusammengearbeitet. In dem Sommer, in dem Johan Emma kennengelernt hatte. Auch Peter war damals ein wenig in sie verliebt gewesen.
»Ach, gut. Moskau ist natürlich ganz anders als vor zehn Jahren, als ich zuletzt da war. Es ist nicht mehr dieselbe Stadt.«
»Wie lange warst du da?«
»Fast zwei Jahre. Total krank, aber so ist es eben.«
»Du musst später mehr erzählen, jedenfalls toll, dass du hier bist.«
»Und wie geht’s dir denn, dir und Emma? Ich hab gehört, ihr habt jetzt ein Kind und überhaupt.«
»Ja, eine Tochter. Sie ist jetzt gerade ein Jahr alt. Sie ist das wundervollste Kind auf der ganzen Welt.«
»Wirklich witzig, dass du Papa bist – das hätte man nicht von dir gedacht.«
Peter schlug ihm auf den Rücken.
Johans Gesicht verdüsterte sich.
»So gut steht es leider nicht, sogar ziemlich schlecht, um ehrlich zu sein.«
»Okay, darüber müssen wir jetzt nicht reden.«
Madeleine schaute ihn interessiert an, sagte aber nichts. Peter klopfte ihm auf die Schulter.
»Was machen wir jetzt?«
Pia kam von der Toilette. Sie begrüßte die beiden anderen und setzte sich an ihren Computer.
»Wir laden gerade unser Material. Wollt ihr mal sehen?«
»Aber sicher«, sagte Peter, dessen Miene sich bei Pias Anblick erhellt hatte. Er setzte sich neben sie. Johan und Madeleine nahmen auf der anderen Seite Platz.
»Wir schaffen heute doch nichts Vernünftiges mehr, aber sag Bescheid, wenn du willst, dass ich den Kurzbeitrag für die landesweiten Nachrichten übernehme«, bot Madeleine an.
Johan zögerte. Eigentlich wäre das eine Entlastung, er war total gestresst und wäre ungeheuer gern so rasch wie möglich fertig gewesen. Zugleich überließ er anderen nicht gern sein Material. Aber zu Madeleine hatte er Vertrauen.
»Leg los.«
Grenfors würde zufrieden sein. Johan warf einen Blick auf die soeben eingetroffenen Kollegen – er mochte beide wirklich sehr gern und freute sich darüber, dass sie gekommen waren.
Hamburg, 15. Juli 1985
F ünf Stunden noch, ehe das Flugzeug nach Schweden starten würde. Sie waren früh aufgestanden, um zu packen. Vera hatte den Verdacht, dass ihr Vater kein Auge zugemacht hatte. Schon um sechs Uhr hatte sie ihn in der Küche gehört. Vor sich auf dem Bett hatte sie ihre Kleider in ordentlichen Stapeln zurechtgelegt, bereit zum Einpacken.
»Packt nicht zu viel ein, ihr werdet wenig zum Anziehen brauchen. Und schon gar keine feinen Sachen«, rief Oleg aus der Küche. »Wir werden unter freiem Himmel leben – weit weg von der Zivilisation!«
Vera musterte ihre Kleiderstapel: Unterhosen, BHs, Bikini, Shorts, Hemdchen, einige Röcke und Kleider, Jeans und einen dickeren Pullover.
Das müsste doch reichen, dachte sie, und begann, ihre Habseligkeiten in ihrem Rucksack zu verstauen.
»Was nimmst du mit?«
Tanja steckte den Kopf ins Zimmer ihrer älteren Schwester.
Sie hatte die Haare zu einem lockeren Knoten hochgesteckt, ihre Wangen glühten, und ihre Augen strahlten. Tanja war mindestens so aufgeregt wie ihr Vater.
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