Sommerzeit
weiten Pullover fiel ihrer Mutter ihr wachsender Bauch auf, und sie ging mit ihr zum Arzt. Sie war im fünften Monat, für eine Abtreibung war es zu spät.
Zuerst war es eine Erleichterung, den Eltern alles zu erzählen. Obwohl sie sich schämte und sich schuldig fühlte, wusste sie im Grunde doch, dass es nicht ihre Schuld gewesen war. Aber allein, dass er in ihrer Unterhose gewesen war, in ihr, genügte, dass sie sich auf eine seltsame Weise schämte. Noch immer bildete sie sich ein, ihre Eltern würden ihr helfen, wenn sie alles erführen, würden sich um alles kümmern und dafür sorgen, dass ihr Genugtuung geschah. Sie würden den Reitlehrer anzeigen, dafür sorgen, dass er bestraft würde, dadurch, dass die Vergewaltigung bekannt wurde, dass er von seiner Familie zur Rechenschaft gezogen werden und dass er für dieses Verbrechen im Gefängnis landen würde. Dass am Ende doch die Gerechtigkeit siegen würde.
Aber die Reaktion ihrer Eltern war dann wie ein Schock für Karin. Sie wollten nicht einmal darüber sprechen, was passiert war. Sie taten so, als sei nichts geschehen, als ob sie ihr eigentlich gar nicht glaubten. Diese Kränkung würde Karin niemals vergessen. Sie sagten, die einzige Möglichkeit sei, das Kind zur Adoption freizugeben, da die Schwangerschaft schon so weit fortgeschritten war. Über eine andere Möglichkeit wollten sie nicht einmal
reden. Karin widersprach nicht, sie wollte alle Spuren der Vergewaltigung tilgen. Wollte weiter jung sein.
Nach der Geburt änderte sich alles. Da kam der schlimmste Verrat, als sie ihren Entschluss bereute und das Kind behalten wollte. Die Behauptung der Eltern, das sei unmöglich, da alle Papiere schon unterschrieben seien, entpuppte sich später als Lüge. Etwas zerbrach in Karin an dem Tag, an dem sie ihr Kind auf die Welt brachte, um es gleich darauf zu verlieren.
Dieses Geheimnis hatte Karin während ihres gesamten Erwachsenenlebens für sich behalten. Nach der neunten Klasse war sie zu Verwandten nach Stockholm gezogen, um dort das Gymnasium zu besuchen.
Dann war sie auf die Polizeihochschule gegangen. Als ihr angeboten wurde, ihren Dienst als Polizeianwärterin auf Gotland zu absolvieren, hatte sie zuerst gezögert, dann aber hatte sie das Angebot angenommen. Sie hatte gedacht, sie müsse weiterkommen, das Schlimmste liege ja doch hinter ihr. Es waren immerhin fast zehn Jahre vergangen. Der Reitlehrer, der sie vergewaltigt hatte, war bei einem Unfall gestorben, Gefahr, ihm zu begegnen, bestand also nicht mehr. Ihre alten Eltern wohnten noch immer in Tingstäde, sie besuchte sie ab und zu, aus purer Höflichkeit.
Sie sprachen nie über diese Sache.
Eigentlich war es eine Katastrophe, dass sie Vera Norrström die Flucht ermöglicht hatte; sie war doch ein labiler Mensch, der zwei Personen erschossen hatte. Was für eine Mutter würde sie für ihre neugeborene Tochter sein? Karin hoffte, dass Vera unter alles einen Schlussstrich ziehen und trotzdem glücklich werden konnte, mit ihrem Mann und ihrem Kind.
Sie hatte mit dem Gedanken gespielt, sich Knutas anzuvertrauen, aber sie begriff, dass das unmöglich wäre. Ihre Karriere als Polizistin würde dann jedenfalls zu Ende sein. Konnte sie mit dieser Last auf dem Gewissen überhaupt noch bei der Polizei bleiben? Für den Moment hatte sie keine Antwort. Sie trug nur ein weiteres Geheimnis.
Sie legte sich in den Sand und schloss die Augen. Horchte auf die Wellen, die über den Strand schwappten. Draußen über dem Meer grollte der Donner. Langsam kam der Regen, ein Tropfen traf ihr Gesicht.
Danksagung der Autorin
Diese Geschichte ist ganz und gar ausgedacht. Ähnlichkeiten zwischen den Romanfiguren und real existierenden Personen sind rein zufällig. Gelegentlich habe ich mir die künstlerische Freiheit erlaubt, die Wirklichkeit zugunsten meiner Geschichte zu verändern. Das gilt unter anderem für die Berichterstattung des schwedischen Fernsehens über Gotland, die im Roman von Stockholm aus organisiert ist. Aber über das regionale Nachrichtenprogramm Östernytt, in dem ein dauerhaft in Visby stationiertes Team von Gotland berichtet, kann ich nur Gutes sagen.
Die Schauplätze des Buches werden fast alle so beschrieben, wie sie in Wirklichkeit aussehen, auch wenn es einzelne Ausnahmen gibt.
Eventuelle Fehler, die sich eingeschmuggelt haben könnten, sind meine eigenen.
Vor allem möchte ich meinem ständigen Sparringspartner und meiner größten Hilfe danken, meinem Mann, dem
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