Sommerzeit
Woher die stammte, wusste sie nicht. Ebenso rasch war dieses Gefühl verflogen.
»Wann kommt er zurück?«
»In einer Woche.«
»Ach je.«
Kihlgård schaute suchend in die Runde. Vermutlich sucht er Leckereien, dachte Karin. Er war der größte Vielfraß in ihrer ganzen Bekanntschaft.
Sie bat die Kollegen, sich kurz vorzustellen, dann wandte sie sich an Thomas Wittberg.
»Du hast die Vernehmungen zusammengestellt, Thomas. Was ist dabei herausgekommen?«
»Der Mord ist gestern Morgen um kurz nach sechs geschehen. Das können wir mit Sicherheit sagen, weil ein Paar, das in einer in der Nähe der Mordstätte gelegenen Hütte Urlaub macht, die Schüsse gehört hat, während sie den Radionachrichten zuhören. Beide haben mindestens
fünf oder sechs Schüsse registriert. Sie haben keinen Alarm geschlagen, weil sie davon ausgingen, dass es sich um Kaninchenjagd handelte. Das kommt hier ziemlich häufig vor – Karnickelwilderei, meine ich«, sagte er an die Kollegen aus Stockholm gerichtet. »Auf dem ruhigen Fårö rechnet man ja kaum mit einem Mord.«
»Sie hätten trotzdem die Polizei anrufen müssen«, protestierte Kihlgård. »Kaninchenjagd ist schließlich auch verboten.«
»Sicher«, gab Wittberg zu. »Aber die Leute auf Fårö sind so daran gewöhnt, dass sie nicht mehr darauf achten.«
»Es gibt jedenfalls nichts, was den Zeitangaben dieser Zeugen widerspricht«, unterbrach Sohlman. »Peter Bovide wurde vermutlich gleich vom ersten Schuss getötet, dem, der ihn in die Stirn getroffen hat. Er war also seit dreieinhalb Stunden tot, als er gefunden wurde.«
Er erhob sich und zog die weiße Leinwand nach unten. Er löschte das Licht und schaltete den Computer aus. Gleich darauf war eine detaillierte Karte von Sudersandsviken und dem Campingplatz zu sehen.
»Wenn er den Wohnwagen gleich nach halb sechs verlassen hat, dann müsste er spätestens fünf oder zehn nach sechs zurückgekommen sein. Man braucht ungefähr eine Viertelstunde oder zwanzig Minuten, um zum anderen Ende des Strandes zu laufen.«
Sohlman zeigte mit einem Kugelschreiber den Weg, den Peter Bovide genommen hatte.
»Hier irgendwo am Strand, gleich oberhalb des Ebbestreifens, ist er also seinem Mörder begegnet. Die Fußspuren im Sand waren noch da, als wir die Stelle untersucht
haben. Die noch vorhandenen Blutflecken zeigen, dass dem Opfer zuerst in die Stirn geschossen wurde, es dann in den Sand kippte und der Täter einige Schritte machte und weiter auf es geschossen hat – wir reden hier von nicht weniger als sieben Schüssen in den Bauch. Danach wurde der Leichnam ins Wasser geschleppt, wo er ein gutes Stück weit hinausgetrieben ist, mindestens zwanzig, dreißig Meter. Gestern Morgen wehte ablandiger Wind, das war also kein Wunder.«
Sohlman fuhr sich durch die Haare, dann redete er weiter.
»Wir haben am Strand zwei leere Hülsen gefunden, aber keine Kugeln. Die stecken vermutlich noch im Körper. Der wird gerade obduziert, also müssen wir das vorläufige Ergebnis abwarten.«
»Das wird hoffentlich schon heute Abend vorliegen«, sagte Karin. »Wir sollten bis dahin versuchen, zu überlegen, was hinter diesem Mord stecken könnte. Welche Möglichkeiten gibt es eurer Meinung nach? Ich hätte hier gern ein Brainstorming!«
Die Kollegen, die seit vielen Jahren mit Knutas zusammenarbeiteten, musterten sie überrascht. Sie waren nicht daran gewöhnt, alle erdenklichen Szenarien zu entwickeln, während noch so wenige Tatsachen auf dem Tisch lagen. Knutas verabscheute Spekulationen. Thomas Wittberg nahm den Ball als Erster auf.
»Wenn er gleich nach sechs Uhr erschossen worden ist, diese Stelle aber schon fünf oder zehn Minuten vor sechs erreicht hatte, dann ist doch die Frage – was hat Peter Bovide in seinen letzten Minuten gemacht?«
»Er hatte vielleicht vom Laufen Seitenstechen und musste für einen Moment anhalten. Oder er war einfach
müde und musste wieder zu Kräften kommen«, schlug Karin vor.
»Warum denn, nach nur ein paar Kilometern?«, wandte Wittberg ein »Er lief doch seit Jahren jeden Morgen. Vielleicht hat er mit dem Täter geredet, ehe er erschossen wurde.«
»Für mich klingt das nach einer glaubwürdigeren Erklärung«, sagte Kihlgård. »Opfer und Täter können sich gekannt haben.«
»Wieso wird ein Zimmermann und Familienvater aus Slite während seiner morgendlichen Joggingrunde auf einem Campingplatz kaltblütig erschossen«, fragte Kihlgård. »Das hört sich doch reichlich unwahrscheinlich an. Noch dazu
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