Sommerzeit
Gesicht war geschwollen und mit blauen Flecken übersät, ihre Oberlippe war deformiert.
Vendela lag mit geschlossenen Augen auf dem Kissen, die Hände ruhten schlaff auf der Decke.
»Hallo, Vendela. Wir sind von der Polizei«, sagte Karin leise. »Mein Name ist Karin, wir sind uns schon einmal begegnet, und dies ist Kommissar Anders Knutas, er leitet die Ermittlungen.«
Keine Reaktion. Die Frau im Bett bewegte sich noch immer nicht, und ihre Augen waren weiterhin geschlossen.
»Würden Sie kurz mit uns sprechen? Wir möchten wissen, wer Ihnen das angetan hat.«
Langsam drehte die Frau sich zu Knutas und Karin hin, öffnete die Augen und kniff sie sofort wieder zusammen.
»Können Sie die Vorhänge zuziehen?«
»Natürlich.«
Karin erhob sich und erfüllte diese Bitte. Es wurde dämmrig im Zimmer. Sie half Vendela Bovide, sich im
Bett aufzusetzen. Sie stöhnte leise und verzog vor Schmerz das Gesicht.
»Können Sie erzählen, was passiert ist?«
Auf dem Nachttisch stand ein Glas Wasser, das Karin ihr reichte. Sie trank einige Schlucke, dann sagte sie:
»Am frühen Morgen ging die Türklingel. Als ich aufmachte, standen draußen zwei Männer. Zuerst hielt ich es für einen Überfall, aber sie erzählten, dass Peter ihnen Geld schuldete, und jetzt, wo er tot sei, müsse ich seine Schulden bezahlen.«
Sie legte eine Pause ein, das Sprechen strengte sie sichtlich an. Sie blinzelte und atmete stoßweise, als sei jeder Atemzug mit Schmerzen verbunden. Karin lauschte angespannt.
»Ich fragte, wie viel Peter ihnen schuldete, und sie antworteten, dreihunderttausend. Ich sagte wahrheitsgemäß, dass ich nicht so viel Geld hätte und auch nicht wüsste, wie ich es auftreiben sollte.«
»Was ist dann passiert?«
»Sie glaubten mir nicht. Sie bedrohten mich und sagten, wenn ich nicht bezahlte, würde ich es bereuen.«
»Und was haben Sie gemacht?«
»Ich habe versucht, ihnen klarzumachen, dass wir kein Geld zu Hause hatten, dass es auf der Bank lag.«
»Wie haben die Männer darauf reagiert?«
»Das sehen Sie doch.«
Vendela schauderte zusammen, als versuche sie, die Erinnerungen abzuschütteln.
»Wie sahen diese Männer aus?«
»Einer war ziemlich groß und schmal, so um die eins fünfundachtzig, er war blond und hatte eine gepiercte Zunge. Der andere war kleiner, vielleicht eins achtzig,
aber massiver gebaut, mehr Muskeln und dunkle Haare.«
»Wie alt?«
»Zwanzig, fünfundzwanzig.«
»Wie waren sie angezogen?«
»Jeans. T-Shirt. Der eine hatte schwarze Stiefel an, der andere, glaube ich, Turnschuhe. Einer hatte die ganzen Arme tätowiert. Und sie waren keine Schweden. Sie sprachen gebrochenes Englisch.«
»Hatten Sie die beiden schon einmal gesehen?«
»Ich glaube, ja.«
»Wann denn?«
»Sie kamen eines Abends, um mit Peter zu sprechen, das war nur einige Tage, bevor wir nach Fårö gefahren sind.«
»Was haben sie gesagt?«
»Ich weiß nicht, sie standen draußen, im Garten. Peter war außer sich, als er hereinkam. Es ging irgendwie darum, dass die Männer schwarz für ihn arbeiteten, und sie wollten Geld, das er nicht hatte.«
»Sie haben gebrochenes Englisch gesprochen, sagen Sie. Wissen Sie, woher sie kamen?«
»Ich glaube, aus Finnland oder einem der baltischen Staaten.«
V iel mehr kam bei dieser Vernehmung nicht heraus. Vendela Bovide musste sich einige Karteifotos ansehen, doch es war keiner der Gesuchten darunter. Den Rest des Tages verbrachte die Ermittlungsleitung mit Überlegungen, in welchem Bezug die Misshandlung der Witwe zur Ermordung ihres Mannes stehen könnte. Eine Befragung der Nachbarschaft erbrachte, dass jemand am selben Morgen ein Auto mit estnischem Nummernschild gesehen hatte.
Am späten Nachmittag schien Knutas alle Energie verloren zu haben. Er saß in seinem Zimmer und nuckelte an seiner kalten Pfeife, während die Gedanken in seinem Kopf kreisten. Was sagte ihm die ungewöhnliche Vorgehensweise des Mörders? Einerseits ließ sie auf einem kaltblütigen Killer schließen, der sein Opfer ohne mit der Wimper zu zucken aus nächster Nähe erschoss. Andererseits deuteten die sinnlosen Schüsse in den Bauch auf einen Täter hin, der die Beherrschung verlor, einen gefühlsmäßig engagierten Mörder. Wenn man sich auf diese Überlegung einließ, konnte man ausschließen, dass es sich um einen Auftragsmord handelte. Der Täter hatte sein Opfer vermutlich gekannt und in irgendeiner
Form von Beziehung zu ihm gestanden. Dafür sprach nicht zuletzt die Tatsache, dass er
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