Sommerzeit
Visby. Die Sonnenstrahlen stachen ihm in die Augen. Er schlief immer bei offenem Fenster, im Sommer wie im Winter, aber jetzt half das nur wenig. Draußen war es wärmer als drinnen. Er stand auf und ging hinaus auf die Terrasse. Das Gras war hoch und musste gemäht werden, die Gartenmöbel sahen heruntergekommen aus, die weiße Farbe war abgeblättert, und er hatte sich vorgenommen, sie im Sommer neu zu streichen. Bisher war daraus noch nichts geworden. Er wagte nicht einmal daran zu denken, wie viel im Ferienhaus in Lickershamn zu tun war.
Ehe der Mord an Peter Bovide aufgeklärt war, würde er dort wohl nicht hinkommen.
Er zog sich an. In der Küche setzte er Kaffee auf und ging dann die Morgenzeitung aus dem Briefkasten holen.
Es war ungewohnt, allein im Haus zu sein. Line und die Kinder hatten noch zwei Wochen Urlaub. Obwohl sie keine Kinder mehr waren, sie waren mittlerweile ausgewachsene Teenager. Er konnte nicht fassen, dass das so schnell gegangen war.
Nisse, wie sein Sohn jetzt genannt werden wollte, hatte
seit einem halben Jahr eine feste Freundin. Knutas hatte sich vor dem Gespräch von Vater zu Sohn gefürchtet. Natürlich hatten er und Line mit den Kindern über Blumen und Bienen gesprochen und darüber, wie Kinder entstehen. Aber als Nisse anfing, bei Gabriella zu übernachten, hatte Knutas das Gefühl gehabt, etwas mehr Detail sei angebracht. Trotz seiner Ängste war das besser verlaufen als erwartet. Nisse hatte versprochen, vorsichtig zu sein und Kondome zu benutzen, und danach hatte er seinen Vater umarmt. Knutas war über die Reaktion seines Sohnes überrascht und froh gewesen. Der Sohn schien die Fürsorge zu schätzen, die sich hinter seinem unbeholfenen Versuch verbarg.
Petra war, anders als ihr Bruder, ständig neu verliebt. Knutas versuchte, sich nicht allzu große Sorgen zu machen. Glücklicherweise standen Line und Petra einander sehr nahe, und Line sprach über alles auf dieselbe offene, selbstverständliche Weise wie immer.
Knutas schmierte sich ein Frühstücksbrot und ließ sich mit einer Tasse Kaffee und der Gotlands Allehanda am Küchentisch nieder. Es war erst halb sieben, Knutas war ein Morgenmensch. Er brauchte nicht viel Schlaf und liebte späte Abende ebenso wie den frühen Morgen.
Der Mord machte keine Schlagzeilen mehr. In den vergangenen Tagen hatte es nichts Neues zu berichten gegeben. Knutas sah Karins Gesicht vor sich. Er überlegte, wie die Ermittlung in seiner Abwesenheit geführt worden war. Er konnte darin keine direkten Fehler erkennen, aber Karin war neu, und das hier war die erste Mordermittlung, die sie selbst hatte einleiten müssen. Er wusste sehr genau, wie wichtig die Anfangsphase in einer solchen Ermittlung war. Oft war der zeitliche Aspekt ausschlaggebend
für den Erfolg. Jetzt war fast eine Woche vergangen, und sie waren nicht weitergekommen. Der Mörder hatte einen großen Vorsprung, und wenn nicht bald etwas passierte, bestand die Gefahr, dass er ihnen entkam. Vermutlich hielt er sich schon gar nicht mehr auf der Insel auf.
Knutas blättert zerstreut in der Zeitung und trank den letzten Schluck Kaffee. Er wollte sofort ins Büro und dort das gesamte Material noch einmal in aller Ruhe durchgehen.
Er hatte es nicht weit bis zur Wache, ein Spaziergang von einer Viertelstunde, aber schon nach wenigen Metern brach ihm der Schweiß aus. Obwohl es noch so früh war, war es schon heiß. Er versuchte, Line anzurufen, aber die meldete sich nicht. Natürlich schlief sie noch. Ab und zu vergaß er, dass nicht alle solche Morgenmenschen waren wie er.
Knutas war in den Bericht des Gerichtsmediziners vertieft, als Karin zur Tür hereinschaute.
»Guten Morgen, wie geht’s dir?«
»Morgen, Morgen – danke, gut«, antwortete er. »Und selbst?«
»Geht so. Hab heute Nacht schlecht geschlafen.«
»Oh?«
»Ich denke immer nur an den Mord.«
Karin seufzte, fuhr sich mit den Fingern durch die kurz geschnittenen dunklen Haare und ließ sich in Knutas’ Besuchersessel sinken.
»Hast du alles durchgehen können?«, fragte sie mit einem Blick auf die vielen Papiere auf seinem Schreibtisch.
»Ja, ich bin so gut wie fertig.«
Knutas zog die Pfeife aus der obersten Schreibtischschublade und fing an, sie zu stopfen.
»Und was sagst du? Ist alles total verkorkst?«
Karin grinste ihn an. Sie war sommerlich gekleidet und trug ein weißes Hemd und einen gepunkteten Rock.
»Dass du einen Rock trägst. Das kommt nicht oft vor.«
»Heute hatte ich aber Lust dazu, es
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