Sommerzeit
sehr wenig Einblick in Karins Leben. Sie wurde bald vierzig und war in seinen Augen attraktiv, aber sie war und blieb Single. Er hatte jedenfalls nie von irgendwelchen Liebhabern gehört. Natürlich hatte er ab und zu gefragt, aber sie hatte deutlich gezeigt, dass sie darüber nicht sprechen wollte. Das hatte dazu geführt, dass er nicht mehr nach ihrem Privatleben fragte. Über alltägliche und belanglose Dinge dagegen sprach sie sehr gern, über ihre Begeisterung für Fußball, über Freundinnen, über ihre Unternehmungen. Aber nicht darüber, wie ihr im tiefsten Herzen zumute war, über ihre Probleme und erst recht nicht über die Liebe.
Das Gespräch verlief stockend. Sie beide waren sich der Tatsache, dass sie mitten in der Nacht allein in Karins Wohnung saßen, stärker bewusst, als sie zugeben wollten.
»Möchtest du was zum Knabbern?«
»Ja, bitte.«
Sie stand auf und ging in die Küche. Wie klein sie ist, und wie zierlich, dachte er. Ganz anders als Line. Gleich darauf kam sie mit einer Schale mit Salzbrezeln zurück.
»Das ist alles, was ich hier habe. Ich hoffe, das ist in Ordnung.«
Sie setzte sich neben ihm auf das Sofa. Knutas’ Mund war wie ausgedörrt. Er trank noch einen Schluck Sekt. Ihr Gespräch ging weiter, aber er konnte sich kaum darauf konzentrieren. Diese Situation war seltsam. Er räusperte sich und schaute auf die Uhr.
»Du, jetzt muss ich aber zum Aufbruch blasen.«
Er hätte sich die Zunge abbeißen mögen. Wie konnte er sich nur so gestelzt ausdrücken? Wie ein alter Onkel! Ärgerlich über sich selbst erhob er sich vom Sofa. Vielleicht ein wenig zu rasch.
»Ach, na gut«, sagte Karin und strich sich den Pony aus der Stirn. Sie folgte ihm in die Diele. Bei der Tür beugte er sich vor, um sie zu umarmen. Wieder staunte er darüber, wie klein sie war. Ehe er sich’s versah, hatte sie ihn mitten auf den Mund geküsst. Es war ein ziemlich rascher, warmer Kuss. Aber dennoch.
»Bis dann«, sagte sie und öffnete die Wohnungstür.
»Bis dann. Wir sehen uns morgen.«
»Eher heute.«
Sie lächelte. Und der Pony fiel ihr wieder in die Stirn.
E mma wurde von ihrem eigenen Schrei geweckt. Der Alptraum hatte mit einem Sturz in einen tiefen Abgrund geendet.
Sie setzte sich mit einem Ruck auf. Ihr Atem ging heftig. Sie starrte in die Dunkelheit. Das Bett fühlte sich an wie eine große, heiße Wüste. Sie blieb eine Weile ganz still sitzen, sie konnte kaum denken. Emma fühlte sich unendlich einsam.
Aus Elins Gitterbettchen war kein Laut zu hören. In einem plötzlichen Panikanfall sprang aus dem Bett auf und lief zu Elin hinüber. Da lag die Kleine, nur mit Windel und weißer Unterhose bekleidet. Die dünne Decke hatte sie in der Hitze weggestrampelt.
Emma ließ sich wieder ins Bett sinken. Starrte mit leerem Blick zur Decke hoch. Sie gestand sich ein, dass sie sich nach Johan sehnte. Bisher hatte nur ihr Körper ihn vermisst, ihr Kopf jedoch hatte Nein gesagt. Hatte der Alptraum sie schwach werden lassen? Konnte sie nicht mehr klar denken?
Sie wollte ihn anrufen. Es war zwar kurz nach drei Uhr nachts, aber vielleicht war er noch wach, schließlich war Samstagnacht. Er könnte mit einem Taxi zu ihr kommen.
Innerhalb einer Stunde könnte er wirklich neben ihr hier im Bett liegen. Diese Vorstellung war so verlockend, dass Emma aufstand und in die Küche lief, das Telefon holte und seine Nummer wählte, ehe sie sich die Sache anders überlegen konnte. Mit hämmerndem Herzen hörte sie, wie es am anderen Ende der Leitung tutete. Einmal, zweimal, dreimal. Vielleicht schlief er doch. Dann hörte sie, dass jemand abnahm. Eine Frauenstimme meldete sich.
»Hallo, hier spricht Madeleine an Johans Telefon.«
Emma konnte noch registrieren, dass es im Hintergrund totenstill war. Zuerst war sie verwirrt, wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. Sie hatte absolut nicht damit gerechnet. Und wer verdammt noch mal war Madeleine? Dann fiel es ihr ein – Madeleine Haga, Reporterin bei den landesweiten Nachrichtensendungen Aktuellt und Rapport. Natürlich saßen sie in der Redaktion bei der Arbeit. Vielleicht gab es etwas Neues in der Mordsache. Vor Erleichterung wurde ihr schwindlig.
»Hallo, hier ist Emma, Emma Winarve. Kann ich mit Johan sprechen?«
Kurzes Zögern, dann antwortete die Frau:
»Der ist gerade unter der Dusche. Soll er zurückrufen?«
Emma gab keine Antwort. Sie hatte bereits aufgelegt.
Sonntag, 16. Juli
D ie Ermittlung im Fall des Mordes an Peter Bovide ging schleppend
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