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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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man fast nur Klagen über Treuhand und über die Justiz, die gegenüber der Stasi versage. Es wäre doch ein Leichtes, die Gründe für das angebliche Versagen klar und deutlich auszusprechen und den Zuschauern einzuhämmern. Nein. Die Kommentatoren suhlen sich lieber im Schlamm dumpfer Beanstander, die nur von hier bis da oder gar nicht denken. Wie soll denn bei der Bereinigung des Drecklochs überhaupt Gerechtigkeit sich durchsetzen? Kommt ja noch die Dummheit der Menschen dazu und die Bevölkerungsscharen, die daran ihr Süppchen kochen.
    Der FDP-Minister in Sachsen, der zunächst absolut abstritt, mit der Stasi etwas zu tun gehabt zu haben, hat es nun zugegeben und ist zurückgetreten. Wie ein Kind hat er geflunkert. Heute ist ein weiterer Minister gegangen, der hat acht Jahre lang berichtet! – Was wohl? Das wird uns nicht mitgeteilt.
     
    Unendliches Gerede um Friedrich den Großen. Ob er nun nach Sanssouci gebracht werden soll oder nicht.
     
    Im«Spiegel»wird Walsers Buch gerühmt. Ihm, der allerhand Papiere und Tagebücher eines Unbekannten verwendet hat, würde es nicht so gehen wie dem des Plagiats bezichtigten Walter Kempowski!
    Ich bin seit einigen Wochen dabei, das Archiv nach Resten durchzusehen für das«Echolot»und finde Unmengen. Viel erfrischend Natürliches ist dabei, aber auch Verblasenes.«Die Findeisen-Sippe»heißt ein Rundschreiben. Da soll man wohl stolz sein dazuzugehören. – Eine Frau schreibt:«Lebenserinnerungen. Begonnen im großen zweiten Weltkrieg». Das ist fürs nächste Jahrtausend berechnet. Oft steht die kümmerliche Aufmachung im Gegensatz zum Anspruch, der erhoben wird, schlechtes Papier, miserabel getippt, klecksender Kugelschreiber.
     
    Hildegard sitzt auf der Terrasse unter der Lampe, von Motten umschwirrt, und entziffert Wilhelm Lehmann.
     
    Der Asylanten-Blödsinn treibt Blüten. Ich sehe diese Leute schon um unser Haus streichen.
     
    Heute rief ich einen Einsender an, der Erinnerungen an seine Zeit auf der«Emden»geschrieben hat. Ich wollte ihn um Briefe aus der Zeit bitten, weil es mit Marinesachen bei uns noch schlecht bestellt ist. Es klingelte einige Male, bis er ranging:«Sie müssen schon entschuldigen, ich habe gerade einen Schlaganfall gehabt, bei mir geht jetzt alles ein bißchen langsamer.»Morgen kommt er in die Reha-Klinik nach Bad Segeberg. Er will mir Briefe heraussuchen. – Nachmittags rief er dann nochmals an, Hildegard war am Apparat: Ich würde mich wundern, was er mir alles schickt! Dann ist er also trotz der Krankheit noch ans Schapp 7 gegangen. Die Unsterblichkeit ist es, die er dadurch zu gewinnen hofft. Oder ganz einfach natürliche Freundlichkeit.
     
    Ich ließ Mottos zusammenstellen und interpretierende Titel von Autobiographien. Eine recht sonderbare Liste entstand,
    1. Kor. 13 natürlich. Viel Goethe und Bibel.
    «Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann.»
    «Und wie es kam, ich hab’s erkannt, am Ende war es gut.»

Nartum Do 15. August 1991, herbstlich schön
     
    Weiter mit M/B. Es ist schon komisch: Von all der Literatur, die ich mir besorgt habe, brauche ich eigentlich nur die deutsche und die polnische Karte sowie ein Büchlein aus dem Rautenberg-Verlag, für 19,80 Mark: Reiseführer Ostpreußen. Aus gutem Grund:«Jetzt in der 5. Auflage.»Das ist so ähnlich wie mit der Rostock-Literatur. Da war eigentlich nur das kleine Buch von Ohle nötig. Stimmt nicht ganz.
     
    In unsere Hausangelegenheit kommt wieder Bewegung.
     
    Frau Schönherr heute:«Oh! Wie sieht Ihr Mann schick aus! – Aber nicht immer sieht er so aus.»
     
    Ein Mann namens Adler mit seinem«Wirt»Ahrens, ZEIT-Autor, aus der DDR, schimpfte auf die anderen DDR-Autoren.
     
    Schönes Wetter, die Luft stand still, als atmete man kaum …
     
    Am Nachmittag in Zeven, Unterschrift beglaubigen: 40,-, Paß abholen.
     
    Sievers gab ein Wiedervereinigungsstatement ab:
    Dafür! Und wenn man es auch nur auf den Solidaritätseffekt zurückführt, das würde mir schon ausreichen. Die da drüben haben es unverschuldet schlecht gehabt, das hätte uns genauso gehen können. – Für mich waren die Orte so weit weg. Jetzt bin ich schon öfter dort gewesen, das ist ja ganz nah!
    Meistens traue ich mich nicht zu fragen, aus Furcht, etwas Negatives zu hören.
     
    Hildegard entziffert W. Lehmanns Tagebuch. Sie ist ziemlich findig.
    TV: Die Kinder von Wandlitz, daß sie versucht haben, mit ihren Vätern zu reden, das sei aber nicht

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